Nichtbeachtung der Verfahrensrechte führt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Unterbringungsentscheidung

Landgericht Kiel

Beschluss

Aktz.: 3 T 202/25 und 3 T 205/25

In dem Unterbringungsverfahren betreffend

Herrn

- Betroffener und Beschwerdeführer -

Verfahrensbevollmächtigte:

Rechtsanwältin Hanna Henning, Gießener Straße 6a, 35410 Hungen, Gz.: 275-25/HH/TH

Verfahrenspfleger:

Herr

Sonstiger Beteiligter:

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Kiel durch den Richter am Landgericht Bremer, den Richter am Landgericht Rathje und die Richterin Dr. Pieronczyk am 01.07.2025 beschlossen:

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Kiel vom 16.06.2025, Az. 310 XIV 1062 L, den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gründe:

l.

Das Amt für Gesundheit des Kreises hat mit Schreiben vom 15.06.2025 unter Beifügung einer ärztlichen Stellungnahme des Arztes Dr. vom selben Tag die geschlossene Unterbringung des Betroffenen nach PsychHG SH beantragt. In der ärztlichen Stellungnahme wird ausgeführt, dass der Betroffene unter einer paranoiden Psychose leide und eine akute Eigen- sowie Fremdgefährdung durch unkontrolliertes Verhalten bestehe. Der Betroffene sei zu einer angemessenen Realitätswahrnehmung nicht in der Lage.

Das Amtsgericht Kiel hat — ohne Beteiligung des beabsichtigten Verfahrenspflegers — den Betroffenen am 15.06.2025 in dem Klinikum persönlich angehört.

Das Amtsgericht Kiel hat sodann durch Entscheidung vom 16.06.2025 die geschlossene Krankenhausunterbringung des Betroffenen längstens bis zum 27.06.2025, 12:00 Uhr, angeordnet. In dem Beschluss wurde Rechtsanwalt zum Verfahrenspfleger bestellt.

Der Verfahrenspfleger hat gegen den Unterbringungsbeschluss Beschwerde eingelegt.

Der Betroffene hat als Verfahrensbevollmächtigte Rechtsanwältin Henning beauftragt, welche mit Schriftsatz vom 17.06.2025 ebenfalls Beschwerde eingelegt hat.

Das Amtsgericht Plön hat der Beschwerde mit Beschluss vom 18.06.2025 nicht abgeholfen. Im Rahmen des Abhilfeverfahrens hat das Amtsgericht Plön den Betroffenen erneut — diesmal in Gegenwart des Verfahrenspflegers — persönlich angehört.

Am 25.06.2025 hat die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen mitgeteilt, dass die Beschwerde angesichts der bevorstehenden Erledigung durch Zeitablauf auf einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit umgestellt werde.

Il.

Der Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen vom 25.06.2025, gemäß S 62 FamFG festzustellen, dass der Beschluss des Amtsgerichts Kiel vom 16.06.2025 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt habe, hat Erfolg.

1. Der Antrag vom 25.06.2025 ist zulässig.

 

Nach S 62 Abs. 1 FamFG spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt und wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

Der Begriff der Erledigung ist — um dem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art 19 Abs. 4 GG Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 31.10.2005 - 2 BvR 2233/04, BeckRS 2005, 31 131) - in einem weiter gefassten Sinn zu verstehen. Dieser schließt die in der Vergangenheit bereits eingetretenen Rechtsfolgen einer noch wirksamen Maßnahme ein. Dem Feststellungsantrag steht daher nicht entgegen, dass er neben der weiterhin verfolgten Aufhebung der noch wirksamen Unterbringungsmaßnahme begehrt wird. Beide Rechtsschutzziele können unbeschränkt nebeneinander verfolgt werden. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit hängt mithin nicht davon ab, dass das Beschwerdeverfahren abgelaufen ist oder sich die Maßnahme insgesamt erledigt hat (BGH, Beschluss vom 11.10.2012 - V ZB 238/11, FGPrax 2013, 39, Rn. 6; Sternal/Göbel, S 62 FamFG, Rn. 9). Entsprechend kann der Betroffene auch isoliert die Feststellung der Rechtswidrigkeit aufgrund eines gravierenden Verfahrensfehlers begehren, wenn er zwischenzeitlich einsieht, dass die weitere Unterbringung in der Sache richtig ist und deshalb die Aufhebung der Unterbringungsentscheidung nicht mehr erstrebt.

Der Betroffene hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit. Ein solches liegt in der Regel nach S 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen vor, was bei der gerichtlichen Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme stets der Fall ist.

2. Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Die Entscheidung des Amtsgerichts Kiel vom 16.06.2025 hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.

Zwar lagen die Voraussetzungen für eine Anordnung der Unterbringung grundsätzlich vor (dazu nachfolgend a.). Die Verfahrensrechte wurden jedoch bei Erlass der Unterbringungsentscheidung am 16.06.2025 nicht gewahrt, sondern erst mit Durchführung des Beschwerdeverfahrens am 18.06.2025 (dazu nachfolgend b.).

a.

Die Voraussetzungen des §§ 7 Abs. 1, 8 PsychHG SH (und des S 331 FamFG) waren grundsätzlich erfüllt.

Nach §§ 7 Abs. 1, 8 PsychHG SH kann der betroffene Mensch durch das Amtsgericht gegen oder ohne seinen natürlichen Willen in einem geeigneten Krankenhaus untergebracht werden, wenn der Kreis oder die kreisfreie Stadt dies unter Beifügung einer ärztlichen Stellungnahme eines psychiatrieerfahrenen Arztes, die auf einer persönlichen Begutachtung des betroffenen Menschen beruht, schriftlich beantragt und wenn und solange dieser infolge seiner psychischen Störung sein Leben, seine Gesundheit oder bedeutende Rechtsgüter anderer erheblich gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Gemäß S 7 Abs. 3 PsychHG besteht eine Gefahr insbesondere dann, wenn sich die psychische Störung so auswirkt, dass ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder unvorhersehbar ist, jedoch wegen des besonderen Umstands jederzeit damit gerechnet werden muss.

Der Kreis hat die geschlossene Unterbringung des Betroffenen mit Schreiben vom 15.06.2025 unter Beifügung einer ärztlichen Stellungnahme des Arztes Dr.  vom selben Tag beantragt.

Die ärztliche Stellungnahme wies eine Erkrankung des Betroffenen aus, nämlich eine paranoide Psychose. Auch die Annahme einer erheblichen Eigen- und Fremdgefährdung ist nicht zu beanstanden. Ausweislich der benannten ärztlichen Stellungnahme sei der Betroffene zu einer angemessenen Realitätswahrnehmung aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage gewesen. Er habe geäußert, Waffen im Haus versteckt zu haben, um sich vor Angreifern schützen zu können. Des Weiteren habe er angekündigt, sich aus dem Fenster stürzen zu wollen, wenn ihm jemand zu nahekomme. Auch in der amtsgerichtlichen Anhörung am 15.06.2025 zeigte sich der Betroffene ungehalten und abweisend. Zum Zeitpunkt der Anhörung im Rahmen des Abhilfeverfahrens am 18.06.2025 war gar eine Fixierung des Betroffenen erforderlich. Schließlich blieb auch die angeordnete Dauer der Unterbringung hinter der ärztlichen Empfehlung von 14 Tagen zurück und war vor dem Hintergrund der benannten Eigen- und Fremdgefährdungen nicht zu beanstanden.

b.

Jedoch wurden die Verfahrensrechte des Betroffenen bei der Unterbringungsentscheidung am16.06.2025 nicht gewahrt.

Die Feststellung, dass ein Betroffener durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (BGH, Beschluss vom 30.06.2021 -XII ZB 573/20, NJW-RR 2021, 1230, Rn. 13).

Der gravierende Verfahrensfehler besteht in vorliegender Sache darin, dass der Bereitschaftsrichter den Verfahrenspfleger entgegen §§ 331 S. 1 Nr. 3, 317 Abs. 1 S. 1 FamFG nicht die Teilnahme am Anhörungstermin ermöglicht hat.

Die Bestellung des Verfahrenspflegers erst im Beschluss ohne vorherige Beteiligung verstößt gegen § 331 S. 1 Nr. 3 FamFG (Marschner Lesting Stahmann Lesting, 6. Aufl. 2019, S 331 Rn 16; HK BUR/Braun S 331 Rn 69; Haußleiter /Heidebach, 2. Aufl. 2017, S 331 FamFG, Rn. 1; Sternal/ Giers, 21 Auflage 2023, S 317 FamFG, Rn. 9). Denn der Verfahrenspfleger kann seine Aufgaben nicht erfüllen, wenn er erst im Unterbringungsbeschluss bestellt wird. Insoweit besteht kein Unterschied zum Hauptsachenverfahren (vgl. auch LG Freiburg, Beschluss vom 15.08.2022 — 4 T 139/22, NJW 2022, 3655). Das Amtsgericht hätte zumindest zu dem in Aussicht genommenen Verfahrenspfleger — gegebenenfalls telefonisch oder per Telefax — Kontakt aufnehmen und diesem jedenfalls eine Terminsmitteilung zukommen lassen müssen, damit wenigstens die Chance besteht, dass die fachkundige Beratung und Begleitung des Betroffenen im Verfahren, wie in § 317 Abs. 3 FamFG vorgesehen, gewährleistet wird. Die Kammer hat hierbei gesehen, dass der Antrag des Gesundheitsamtes an einem Sonntag im Rahmen des Bereitschaftsdiensts eingegangen ist. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass dem Bereitschaftsrichter selbst der Versuch einer Kontaktaufnahme oder die Veranlassung einer Terminsmitteilung nicht möglich war. Auch dem Amtsgericht Plön war dies im Folgenden möglich.

Das Amtsgericht Plön hat die erforderliche Maßnahme am 18.06.2025 nachgeholt und den rechtswidrigen Zustand ex-nunc beseitigt, indem es den Betroffenen im Rahmen des Abhilfeverfahrens erneut angehört und hierbei den Verfahrenspfleger beteiligt hat. Obwohl das Amtsgericht Plön im Rahmen der Abhilfeentscheidung genau richtig gehandelt hat, konnte es den bereits eingetretenen Verfahrensfehler nicht mehr rückwirkend heilen. Denn bei — wie hier — gravierenden Verfahrensmängeln ist eine rückwirkende Heilung ausgeschlossen, vielmehr wird die Rechtswidrigkeit mit Nachholung der erforderlichen Maßnahme erst mit Wirkung ex nunc beendet (BGH, Beschluss vom 13.04.2022 - XII ZB 267/21, NJW-RR 2022, 865, Rn. 16; Sternal/Göbel, S 62, Rn. 33, 36).

3. Hinsichtlich der vom Verfahrenspfleger eingelegten weiteren (und nicht auf einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit umgestellten) Beschwerde ist durch Zeitablauf Erledigung eingetreten.

Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar.

 

 

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