HStVollzG Ablösung aus dem offenen Vollzug

Rechtsprechung zum HStVollzG

LG Kassel                                                                            Datum: 16.11. 2016

Aktenzeichen: 3 StVK-270/16                                            Rechtskraft: JA

Ablösung aus dem offenen Vollzug

Leitsatz

Die Rücknahme bzw. der Widerruf vollzugsöffnender Maßnahmen richtet sich nach §  14 Abs.  2  bzw.  §  14 Abs.  3  HStVollzG.

Gemeinsame Voraussetzung ·  für   die  Rücknahme  bzw.   einen  Widerruf   ist  daher, dass  der Gefangene für vollzugsöffnende   Maßnahmen - hier also den offenen Vollzug nicht i.S.d. § 13 Abs. 2 S. 1   HStVollzG geeignet ist,  insbesondere also zu befürchten ist;  dass sie sich dem Vollzug  der Freiheitsstrafe  entziehen (Entweichungsgefahr) oder  die  Maßnahmen zur  Begehung von  Straftaten  oder  auf  andere  Weise missbrauchen wird (Missbrauchsgefahr).

 

 

Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.10.2016 wird aufgehoben. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des  Antragstellers hat die Staatskasse zu tragen.

 

Aus den Gründen

 

Die Antragstellerin wendet  sich mit ihrem Antrag  vom  04.11.2016  gegen ihre mit Bescheid der  Antragsgegnerin  vom   26.10.2016 angeordnete  (Zurück-) Verlegung vom offenen in den geschlossenen Vollzug.

Die     Antragstellerin  hat      sich      am      07.09.2016  im       Rahmen      des Direkteinweisungsverfahrens zum Strafantritt in der JVA Kassel 1 - Baunatal wegen der Vollstreckung  einer Gesamtfreiheitsstrafe  wegen  Diebstahls und vorsätzlichen Fahrens  ohne  Fahrerlaubnis  von   einem  Jahr  gestellt.   Mit  Vollzugsplan  der Antragsgegnerin  vom 20.09.2016 wurde festgestellt,  dass die Antragstellerin  für die Unterbringung   im   offenen    Vollzug   geeignet   ist.    Am    17 .10.2016   ist   der Antragsgegnerin ein weiteres  Aufnahmeersuchen  zur Vollstreckung  einer weiteren Freiheitsstrafe wegen Fahrens ohne  Fahrerlaubnis und Betruges zugestellt worden. Daraufhin hat die Antragsgegnerin mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 26.10.2016     deren     Eignung    für     vollzugsöffnende     Maßnahmen  wegen Missbrauchsgefahr widerrufen  und deren  Unterbringung  im geschlossenen Vollzug angeordnet.

Zur Begründung wird u.a. wie folgt ausgeführt:

 

„Zudem haben Sie sowohl bei Gericht als auch in persönlichen Gesprächen innerhalb der Anstalt keinen vertrauensvollen, absprachefähigen und zuverlässigen Eindruck hinterlassen. So haben sie schon zu Beginn der Vollstreckung eine Ihnen auferlegte Weisung nicht befolgt, die in einem Disziplinarverfahren gem. §§ 55,56 HStVollzG vom 22.09. 2016 geahndet werden musste.

(…..)

Aufgrund des neuen Sachverhalts bezüglich der neuen Anschlussvollstreckung von 1 Jahr wegen des erneuten Fahrens ohne Fahrerlaubnis, welche zum Zeitpunkt der Feststellung der Eignung für den offenen Vollzug nicht bekannt war und der vorangegangenen Ausführungen, ist in Ihrem Fall die weitere gwährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen nicht vertretbar. Eine Missbrauchsgefahr kann nicht mit erforderlicher Sicherheit ausgeschlossen werden.“

Mit  ihrem  Antrag  auf gerichtliche  Entscheidung  hat  die  Antragstellerin   sinngemäß beantragt,

den Bescheid der Antragsgegnerin  aufzuheben.

Die Antragsgegnerin  hat beantragt,  den Antrag .als unbegründet zurückzuweisen.

Sie  trägt  vor,  dass  eine  Missbrauchsgefahr  aufgrund  der  Erkenntnis,  dass  ihr die Anschlussvollstreckung von 1  Jahr nicht bekannt war und die Antragstellerin auch in ihrem  Zugangsgespräch  gegenüber  dem  zuständigen  Sozialdienst  verneint  habe, dass noch eine weitere  Freiheitsstrafe zur Vollstreckung anstehe, nicht mit der erforderlichen  Sicherheit auszuschließen sei.  Zudem zeige die Antragstellerin in allen persönlichen       Gesprächen mit    Bediensteten    des     offenen    Vollzugs keinerlei Einsichtsfähigkeit  in das bisher gezeigte strafrechtliche Verhalten.

II.

Die angefochtene  Entscheidung der Antragsgegnerin ist aufzuheben, da der darin erfolgte  Widerruf  der vollzugsöffnenden  Maßnahmen hier die Unterbringung im offenen  Vollzug - und die angeordnete Unterbringung im geschlossenen Vollzug rechtswidrig ist und die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt wird.

Die Voraussetzungen für  eine Rücknahme bzw. einen Widerruf vollzugsöffnender Maßnahmen liegen nicht vor. Die Rücknahme bzw. der Widerruf vollzugsöffnender Maßnahmen richtet sich nach §  14 Abs.  2  bzw.  §  14 Abs.  3  HStVollzG.  Danach  können  vollzugsöffnende Maßnahmen  zurückgenommen   werden wenn   die    Voraussetzungen   für   ihre Bewilligung nicht vorgelegen  haben (so §  14 Abs. 2 HStVollzG)  bzw:  widerrufen werden, wenn aufgrund nachträglich eingetretener Umstände die Maßnahmen hätten versagt   werden   können   (so  §   14  Abs.    3   Nr. 1    HStVollzG) .   Gemeinsame Voraussetzung ·  für   die  Rücknahme  bzw.   einen  Widerruf   ist  daher, dass  die Antragstellerin für vollzugsöffnende   Maßnahmen - hier also den offenen Vollzug nicht i.S.d. § 13 Abs. 2 S. 1   HStVollzG geeignet ist,  insbesondere also zu befürchten ist;  dass sie sich dem Vollzug  der Freiheitsstrafe  entziehen (Entweichungsgefahr) oder  die  Maßnahmen zur  Begehung von  Straftaten  oder  auf  andere  Weise missbrauchen wird (Missbrauchsgefahr).

Der  Versagungsgrund  der hier  von  der  Antragsgegnerin als  Widerrufsgrund angeführten Missbrauchsgefahr eröffnet als     Prognoseentscheidung   der Vollzugsbehörde einen Beurteilungsspielraum.

Diese Prognoseentscheidung  ist  gerichtlich  nur nach den Maßstäben des  §   115 Abs. 5 StVollzG daraufhin überprüfbar,  ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffend und vollständig  ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer  Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes  zu Grunde  gelegt und die Grenzen des ihr  zustehenden  Beurteilungsspielraums   eingehalten hat  (BeckOK  Strafvollzug Hessen/Kunze HStVollzG § 13 Rn.  11 ) .

Die Antragsgegnerin hat den ihr bei der Einschätzung zustehenden Beurteilungsspielraum ob bei der Antragsgegnerin Missbrauchsgefahr besteht, nicht eingehalten.

Denn es muss durchgehend erkennbar sein, dass die Vollzugsbehörde die Missbrauchsgefahr als positiv feststehend ansieht (BeckOK Strafvollzug Hessen/Kunze HStVollzG § 13 Rn.13). Daran fehlt es hier.

Die nicht aussagekräftige Wortwahl der Antragsgegnerin – „eine Missbrauchsgefahr kann nicht mit erforderlicher Sicherheit ausgeschlossen werden“ gibt gerade nicht die Überzeugung der Vollzugsbehörde wieder, es bestünden konkrete Missbrauchsbefürchtungen; diese Formulierung gibt ein bloßes „non liquet“ wieder und aufgrund der stets gegebenen und nicht aufhebbaren Rechtsunsicherheit stünde die Gewährung von Vollzugs-lockerungen damit vollständig im Belieben der Vollzugsanstalt (vgl. KG BeckRS 2009, 25382; BeckOK Strafvollzug Bund/Anstötz StVollzG § 10 Rn. 19).

Auch die im Bescheid angeführte Nichtbefolgung einer Weisung, die mit einem Disziplinarverfahren geahndet werden musste sowie der Vortrag, die Antragstellerin habe bei Gericht als auch in persönlichen Gesprächen innerhalb der Anstalt keinen vertrauensvollen, absprachefähigen und zuverlässigen Eindruck hinterlassen, lässt mangels näherer Substantiierung keine für die Kammer nachvollziehbaren Schlüsse für die Annahme einer Missbrauchsgefahr zu.

Darüber hinaus ist der Entscheidung der Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft, da nicht erkennbar ist, dass diese das ihr zustehende Ermessen („können“) im Rahmen einer Gesamtabwägung der für und gegen die beabsichtigte Entscheidung sprechenden Gesichtspunkte ausgeübt hat.

 

Anmerkung

Die vorstehende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer betrifft den immer wieder auftretenden Fall, dass eine Ablösung aus dem offenen Vollzug, nach der Feststellung der Geeignetheit – nachträglich erfolgt.

Hier hat sich die Betroffene selbst zum Strafantritt gestellt, insbesondere auch in Kenntnis einer weiteren Vollstreckung von einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Die Vollzugsanstalt hat sodann deren Geeignetheit für den offenen Vollzug festgestellt.

Unter der Angabe, es sei nunmehr bekannt geworden dass eine weitere Vollstreckung anstehe wird die Betroffene sofort in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt.

Die Vollzugsanstalt hat sich weder mit der Frage einer daraus bestehenden Flucht- oder aber Missbrauchsgefahr überhaupt beschäftigt, noch dargelegt worauf diese überhaupt beruhen kann.

Die Strafvollstreckungskammer hat die Verfügung mit einer überaus deutlichen Begründung aufgehoben.

Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes, wie hier der Feststellung der Geeignetheit für den offenen Vollzug, muss durch die Vollzugsbehörde mit konkreten Tatsachen hinsichtlich einer Flucht- als auch Missbrauchsgefahr nachvollziehbar belegt werden.

Immer überprüfbar ist, ob die Behörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist (OLG Hamm StraFo 2009, 128 [OLG Hamm 03.07.2008 - 1 Vollz (Ws) 357/08]) und ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und dabei die Grenzen ihrer Entscheidungsprärogative eingehalten hat (dazu OLG Hamburg StraFo 2007, 390 = FS 2008, 137).

Bei der Prüfung der Flucht- und Missbrauchsgefahr muss die Vollzugsbehörde grundsätzlich eine Gesamtwürdigung aller prognostisch maßgeblichen Umstände vornehmen. Hierbei ist insbesondere die Persönlichkeit des Gefangenen zu berücksichtigen (dazu: OLG Frankfurt StV 2003, 399; OLG Celle NStZ 1984, 430; OLG Naumburg NStZ-RR 2009, 30 Ls).

Dies mag sich zunächst einfach anhören aber in der Praxis ist es so, dass wenn die Vollzugsbehörde die Geeignetheit für den offenen Vollzug festgestellt hat, der Betroffene während der Verweildauer im offenen Vollzug keinerlei gravierenden Vorkommnisse produziert hat, die Rücknahme der Geeignetheit nur unter ganz engen Voraussetzungen überhaupt erfolgen kann. Denn all jene Tatsachen, wie z.B. eine strafrechtliche Vorbelastung, eine weitere Strafvollstreckung wenn diese dem Betroffenen zum Zeitpunkt des Strafantrittes bekannt war, sind keine neuen Tatsachen die eine Rücknahme der Geeignetheit für den offenen Vollzug begründen können. In der Praxis sieht dies gänzlich anders aus. Ablösungsverfügungen aus dem offenen Vollzug sind sehr oft mangelhaft und halten einer rechtlichen Prüfung dann auch nicht stand.

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