Gegen die unten aufgeführte Entscheidung hatte die StA Bayreuth Beschwerde eingelegt, diese ist nunmehr - recht deutlich - zurückgewiesen worden.

 

In dem Verfahren gegen

 

Betreuerin:

vertreten durch:

Rechtsanwältin Henning Hanna, Gießener Str. 6 a, 35410 Hungen, Gz.: 17/547/TH

wegen Antrag auf Akteneinsicht

erlässt das Landgericht Bayreuth - 1. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 6. März 2018 folgenden

Beschluss

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bayreuth gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bay­reuth vom 18.01.2018, Az. Gs 8/18, wird auf Kosten der Staatskasse verworfen,

weil

die Gründe des Beschlusses, auf die verwiesen wird, zutreffen und durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden.

Abzustellen für den Antrag des  ist auf § 475 StPO. Gemäß § 475 Abs. 3 StPO können amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigt werden. Das Mitgabeverbot für ein Beweisstück ist er­forderlich, um die Authentizität des Beweisstückes mit Hinblick auf die Wahrheitsfindung zu ge­währleisten.

 

1 Qs 5/18                                                                        - Seite 2 -

Eine Beeinträchtigung des Beweismittels durch Anfertigung einer Kopie und Überlassen dersel­ben ist nicht denkbar (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, § 475, Rdnr. 5, § 147, Rdnr. 19).

Zudem entspricht die Anfertigung und Überlassung von Kopien von Tonband-, Video- oder Film­aufnahmen und deren Überlassung gängiger Rechtspraxis für den Verteidiger (Löwe-Rosenberg StPO, 26. Auflage, § 147 Rn. 112) und ist im Rahmen des § 475 StPO ebenso anzuerkennen.

Schutzwürdige Interessen Dritter, die dem widersprechen könnten, sind im Hinblick auf die Be­deutung der Vorgehensweise für den Antragsteller nicht gegeben.

Die Vorgehensweise stellt auch keinen unzumutbaren Aufwand für die Staatsanwaltschaft bzw. Polizei dar.

gez.

Vizepräsident                               Richterin                                     Richter

des Landgerichts                        am Landgericht                         am Landgericht

AG Bayreuth vom 18.01. 2018 - Aktz.: Gs 8/18

Herausgabe von Videoaufzeichnungen aus strafrechtlichen Ermittlungen zur Überprüfung eines Gutachtens.

 

 

Herausgabe von Videoaufnahmen. § 475 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 StPO. Im Übrigen ist auf den Grundsatz der Aktenvollständigkeit und -wahrheit hinzuweisen. Schriftstücke, Ton- oder Bildaufnahmen, Videoaufzeichnungen, aus denen sich schuldspruch-oder rechtsfolgenrelevante Umstände ergeben können, dürfen den Akten nicht ferngehalten werden, indem sie zu Beweisstücken deklariert werden und somit jedenfalls der Akteneinsicht entzogen werden (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rdnr. 14 zu § 147 StPO).

 

 

 

Amtsgericht Bayreuth

Geschäftsnummer: Gs 8/18

Staatsanwaltschaft Bayreuth, 120 AR 415/16

 

In dem Verfahren i.S. Mord zum Nachteil

hier: Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Antragstellers

 

Betreuerin:

Bevollmächtigte:

Rechtsanwältin Hanna Henning, Gießener Straße 6a, 35410 Hungen

erlässt das Amtsgericht Bayreuth durch den Richter am Amtsgericht Meixner am 18. Januar 2018 folgenden

Beschluss

Dem Antrag des XY auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 478 Abs. 3 Satz 1 StPO in Verbindung mit § 475 StPO wird insoweit stattgegeben, als Kopien der Videoaufzeichnungen zur Tatrekonstruktion vom 02.07.2002, 30.07.2002 und 01.08.2002 von Amts wegen anzufertigen und an seine Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwältin Henning, zur Einsicht zu überlassen sind.

Gründe:

Der Antragsteller XY wurde vom Landgericht Hof wegen Mordes an  zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. In einem Wiederaufnahmeverfahren wurde er im Jahre 2014

vom Landgericht Bayreuth schließlich freigesprochen.

Über seine Betreuerin hat er Rechtsanwältin Hanna Henning unter Erteilung einer Vollmacht am 15.01.2017 (BI. 13 des Sonderhefts der Staatsanwaltschaft Bayreuth Az. 120 AR 415/16) u.a. damit beauftragt, Schadensersatzansprüche gegen den Sachverständigen Dr. BB zu prüfen. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass der Sachverständige im ersten Prozess vor dem Landgericht Hof ein fehlerhaftes Gutachten zum Wahrheitsgehalt des ursprünglich von XY abgelegten und später widerrufenen Geständnisses angefertigt habe. Mit Schriftsatz vom 01.11.2017 beantragte Rechtsanwältin Henning bei der Staatsanwaltschaft Bayreuth die Übersendung der seinerzeit an den Sachverständigen Dr. BB übermittelten Videoaufzeichnungen zur Tatrekonstruktion vom 02.07.2002 sowie vom 30.07.2002 und vom 01.08.2002.

Die Staatsanwaltschaft Bayreuth teilte der Bevollmächtigten des Antragstellers mit Verfügung vom 15.11.2017 mit, dass es sich bei den Videoaufzeichnungen um Asservate in einem abgeschlossenen Strafverfahren handele. Eine Akteneinsicht in solche Aufzeichnungen finde grundsätzlich dergestalt statt, dass die Besichtigung derselben am Ort der amtlichen Verwahrung ermöglicht werde. Rechtsanwältin Henning erwiderte, dass zwischenzeitlich ein externer Gutachter mit der Erstellung einer Expertise zum Gutachten Dr. BB beauftragt worden sei. Letzterem hätten bei der Erstellung des Gutachtens jene Videoaufzeichnungen vorgelegen. Ein nicht unwesentlicher Teil seines Gutachtens gründe auf den Videos zur Tatrekonstruktion. Deshalb müssten die Videoaufzeichnungen auch dem neuen Gutachter zur Verfügung stehen. Eine Vorführung auf der Geschäftsstelle von Polizei oder Staatsanwaltschaft reiche nicht aus.

Daraufhin lehnte die Staatsanwaltschaft Bayreuth mit Bescheid vom 13.12.2017 den Antrag auf Übersendung von Kopien der im Ermittlungsverfahren gegen XY erstellten Videoaufnahmen zur Tatrekonstruktion ab. Hierfür bestehe keine Rechtsgrundlage. Wenn frühere Beschuldigte Akteneinsicht für Zwecke begehren, die mit der Verteidigung in der Strafsache nicht mehr zu-sammenhingen, komme § 147 StPO als Rechtsgrundlage nicht mehr in Betracht. Dies sei hier der Fall. § 475 Abs. 3 StPO erlaube es jedoch lediglich, amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen. Dem Rechtsanwalt können, soweit Akteneinsicht gewährt werde nicht wichtige Gründe entgegenstehen, die Akten mit Ausnahme der Beweisstücke in seine Geschäftsräume oder in seine Wohnräume mitgegeben werden. Damit sei geregelt, dass Beweisstücke die Diensträume gerade nicht verlassen dürften.

Gegen diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft richtet sich der Antrag der Bevollmächtigten des Antragstellers vom 04.12.2017 auf gerichtliche Entscheidung. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass der Sachverständige Dr. BB die Aufzeichnungen zum Gegenstand seines Gutachtens vor dem Landgericht gemacht habe. Ein Ansehen der Aufnahmen reiche nicht aus. Die Videoaufzeichnungen müssten durch den beauftragten Sachverständigen ausgewertet werden. Das könne dieser auch nicht durch ein mehrmaliges Ansehen vor Ort. Er müsse die Videos in einer aufwendigen Analyse in seine Expertise einbinden. Im Übrigen handele es sich bei den Aufnahmen auch nicht um Beweisstücke, sondern um eine Kombination von Tathergangsabläufen und zugleich Vernehmungsinhalten des seinerzeit Beschuldigten XY. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Schriftsatz vom 04.12.2017 Bezug genommen.

Die Staatsanwaltschaft hält in ihrer Erwiderung vom 16.01.2018 an ihrer Rechtsauffassung fest. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung der Herausgabe der Videoaufzeichnungen ist gemäß §§ 478 Abs. 3, 475 StPO und auch gemäß § 406e Abs. 4 Satz 2 StPO zulässig. Die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters ergibt sich aus § 162 Abs. 3, Abs. 1 StPO.

Der Antrag ist auch begründet. Der Anspruch des Antragstellers ergibt sich aus § 475 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 StPO. Der Antragsteller behauptet, er sei Verletzter in einem Strafverfahren, das aufgrund eines falschen Gutachtens zu seiner Verurteilung wegen Mordes geführt habe. Somit hat die von ihm mandatierte Rechtsanwältin auch gemäß § 406e Abs. 1 StPO ein Akteneinsichtsrecht sowie das Recht zur Besichtigung amtlich verwahrter Beweisstücke, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. Letztlich kann offenbleiben, welche der beiden Rechtsgrundlagen einschlägig ist. Die Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall bei beiden Normen die gleichen.

Es steht außer Frage, dass der Antragsteller aufgrund seiner oben dargestellten Behauptung, er sei Opfer eines falschen Gutachtens geworden und wolle deshalb den Sachverständigen auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO hat. Die verfahrensgegenständlichen Videos über die Tatrekonstruktion haben im Verfahren vor dem Landgericht eine wichtige Rolle bei der entscheidenden Frage gespielt, ob das von dem dort Angeklagten abgegebene und später widerrufenen Geständnis der Wahrheit entsprach oder nicht. Es spricht vieles dafür, dass der Sachverständige Dr.  das Geständnis auch deshalb für glaubhaft gehalten hat, weil er aus den Videos entsprechende Erkenntnisse hergeleitet hat. Ausgeschlossen ist dies jedenfalls nicht.

Zutreffend ist allerdings, dass das Gesetz in Bezug auf amtlich verwahrte Beweisstücke lediglich ein Recht auf Besichtigung und nicht auf Mitgabe in die Geschäftsräume oder Wohnung des Anwalts einräumt. Hierzu ist zunächst in den Blick zu nehmen, ob es sich bei den Videos überhaupt um Beweisstücke im Sinne des Gesetzes handelt. Ausgehend vom Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ist davon auszugehen, dass das Verbot der Mitgabe von Beweisstücken dazu dient, die Authentizität mit Blick auf die Wahrheitsfindung zu gewährleisten und einen Verlust des Beweisstücks zu verhindern (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. RdNr. 19 zu § 147 unter Hinweis auf Beulke/Witzigmann, StV 13, 75, 76). Bei klassischen Beweisstücken, wie Tatwaffen (etwa mit DNA- oder Blutanhaftungen), Betäubungsmitteln etc. ist dies problemlos nachzuvollziehen. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Herausgabe der Originale der Videoaufzeichnungen, sondern um die Anfertigung von Kopien und Herausgabe derselben an die Anwältin des Antragstellers. Ein Verlust des authentischen und originalen Beweismittels ist damit nicht verbunden. Im Übrigen ist auf den Grundsatz der Aktenvollständigkeit und -wahrheit hinzuweisen. Schriftstücke, Ton- oder Bildaufnahmen, Videoaufzeichnungen, aus denen sich schuldspruch-oder rechtsfolgenrelevante Umstände ergeben können, dürfen den Akten nicht ferngehalten werden, indem sie zu Beweisstücken deklariert werden und somit jedenfalls der Akteneinsicht entzogen werden (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rdnr. 14 zu § 147 StPO). Dem Unterzeichner ist im Rahmen seiner Mitwirkung im Wiederaufnahmeverfahren bekannt, dass in den Videos auch Gespräche zwischen den ermittelnden Kriminalbeamten und dem damaligen Beschuldigten enthalten sind. Es werden dem Beschuldigten Fragen gestellt und Vorhaltungen gemacht. Er wird animiert, mit Gesten darzustellen, wie er Peggy Knobloch festgehalten hat, in welchen Positionen sie sich in welcher Phase der Tat gegenübergestanden haben etc.

Somit besteht ein unbestreitbares Interesse des Antragstellers und des von diesem beauftragten Sachverständigen, sich ein umfassendes Bild davon zu machen, ob der Sachverständige Dr.  die Inhalte der Videos sachgerecht bewertet hat oder ob ihm ein Verstoß gegen wissenschaftliche Grundsätze vorzuwerfen ist. Da es sich um längere Videoaufzeichnungen handelt, reicht es auch nicht aus, dem Sachverständigen in den Diensträumen von Polizei oder Staatsanwaltschaft die Möglichkeit zum Ansehen der Videos zu geben. In diesem Fall ist dem Antragsteller ein Anspruch auf Überlassung einer Kopie von bereits bei den Akten in Form von CDs oder DVDs befindlichen Datenkopien zu bewilligen (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rdnr 19c zu TKÜ-Audiodateien). Der beauftragte Privatgutachter hat die Aufzeichnungen sorgfältig zu besichtigen und entsprechende Analysen anzustellen, um letztlich zu einer fundierten Bewertung der Tätigkeit des im gerichtlichen Verfahren beauftragten Sachverständigen Dr. BB zu kommen. Dies ist nur mit einer Besichtigung der Videos auf einer Dienststelle nach Auffassung des Gerichts nicht möglich. Dabei ist erneut darauf hinzuweisen, dass es nicht um die Übersendung der Originale geht, sondern von Kopien.

Auch die Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Umstände führt zu keinem anderen Ergebnis. Sicher ist bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass bei der Herausgabe der Kopien schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen können. Zunächst ist aber darauf zu verweisen, dass Hauptbetroffener hinsichtlich dieser Problematik der Antragsteller XY selbst ist. Er war damals Hauptsubjekt der aufgezeichneten Tatrekonstruktion. Wenn er nunmehr einen Anspruch auf Überlassung der Videos erhebt, kann dieser Umstand somit selbstredend nicht entgegenstehen, zumal er durch seine Betreuerin ordnungsgemäß gesetzlich vertreten ist. Anders als beispielsweise bei TKÜ-Aufzeichnungen, bei denen auch Privatgespräche mit außenstehenden Dritten erfasst werden, gibt es im vorliegenden Fall keine solchen Unbeteiligten. Betroffene sind allenfalls noch Polizeibeamte, die auf den Videos zu erkennen sind und Fragen an den Antragsteller richten bzw. ihm Vorhaltungen machen. Der Schutz dieser Personen, die auf den Videos im Rahmen der Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit zu sehen sind, hat aber zurückzutreten. Vorrangig ist das Interesse des Antragstellers, den Polizeibeamten möglicherweise unzulässige Suggestivfragen oder unangemessene Druckausübung etc. nachzuweisen, was letztlich erst eine Beurteilung der Tätigkeit des Glaubwürdigkeitsgutachters Dr. Kröber ermöglicht.

Somit ist dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung stattzugeben. Der Bevollmächtigten des An-tragstellers sind Kopien der entsprechenden Videoaufzeichnungen zu überlassen.

 

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