Aufhebung Abstinenzgebot

 

Strafbewehrte Weisungen während der Dauer der Führungsaufsicht, Abstinenzweisung Oberlandesgericht Bamberg

Az.: 1 Ws 605/19 vom 04.12. 2019

 

Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht sind ein Bereich, der immer mal wieder zu Verfahren führt. Insbesondere die Möglichkeit einer Abstinenzanweisung, greift erheblich in die Rechte des Einzelnen ein. Die damit verbundene Pönalisierung eines an sich nicht strafbewehrten Verhaltens, insbesondere schwerwiegend bei einer Abstinenzweisung in Bezug auf den Konsum alkoholischer Getränke (der Konsum von Alkohol wandelt sich bei einer solchen Weisung § 145a StGB in ein strafbares Verhalten dass von der Verhängung einer Geldstrafe bis zu der Verhängung einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren führen kann). Auch in Bezug auf eine Abstinenzweisung bezogen auf die Abstinenz von BtMG (Betäubungsmitteln) deren Konsum nicht strafbar ist, verhält es sich nicht anders.

 

Am 30. März 2016 < - 2 BvR 496/12 -> entscheidet dann das Bundesverfassungsgericht. „Zwar begegnet weder das Rechtsinstitut der Führungsaufsicht noch die Möglichkeit einer strafbewehrten Abstinenzweisung für deren Dauer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Allerdings ist es verfassungsrechtlich geboten, dass der mit einer Abstinenzweisung verbundene Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt.“ Das liest sich zunächst einfach, in der Praxis allerdings sind die weiteren Ausführungen hierzu bedeutsam: „Demgemäß muss eine Weisung gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB zunächst geeignet sein, den mit ihr angestrebten Zweck zu erreichen (vgl. BVerfGE 90, 145 <172>). Dabei genügt bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung (vgl. BVerfGE 113, 167 <234>; 115, 276 <308>; 116, 202 <224>; 117, 163 <188 f.>). Bei einer Abstinenzweisung muss also die Möglichkeit bestehen, dass Straftaten unterbleiben, die im Falle weiteren Suchtmittelkonsums zu erwarten wären. Ungeeignet wäre eine Abstinenzweisung hingegen, wenn eine Verminderung des Risikos der Begehung weiterer Straftaten aufgrund dieser Weisung ausgeschlossen werden kann. Daneben muss die Abstinenzweisung erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn sein. Letzteres bedeutet, dass sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten darf, sondern diesem zumutbar sein muss (vgl. BVerfGE 13, 97 <113>; 90, 145 <173>; 104, 337 <349>; 110, 177 <195>; 113, 29 <54>; 115, 166 <192> stRspr). Insoweit stellt § 68b Abs. 3 StGB, wonach bei Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht keine an die Lebensführung der verurteilten Person unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen, eine einfachgesetzliche Ausprägung der sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen dar.“

 

In der Praxis umschreibt dies ein weites Feld. Die Frage der Zumutbarkeit einer Abstinenzweisung bei Suchtkranken wird an sich vom Bundesverfassungsgericht zunächst recht eindeutig beantwortet: „Nach dem vorstehend Gesagten wird von der Verhältnismäßigkeit einer Abstinenzweisung gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB regelmäßig auszugehen sein, wenn diese gegenüber einer ohne weiteres zum Verzicht auf den Konsum von Suchtmitteln fähigen Person angeordnet wird und im Falle des erneuten Alkohol- oder Suchtmittelkonsums mit der Begehung erheblicher, die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit betreffender Straftaten zu rechnen ist. Wenn der Verzicht auf den Konsum von Suchtmitteln lediglich vom Willen und der charakterlichen Festigkeit des Weisungsunterworfenen abhängt, ist es ohne weiteres zumutbar, für die Dauer der Führungsaufsicht zur Vermeidung weiterer Straftaten einen solchen Verzicht einzufordern.“

 

Eine andere Frage die sich stellt, ist, wie ist bei „Altfällen“ zu verfahren, also solchen Fällen wo die Abstinenzweisung vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erlassen wurde, möglicher-weise angebunden an gutachterliche Empfehlungen wie: „Abstinenzanweisung und strikte Kontrolle derselben wird die Begehung neuer Straftaten frühzeitig erkennen lassen“. Solcherart Empfehlungen führten und führen oft zu einer Abstinenzanweisung im Rahmen der Führungsaufsicht. Die Verhängung von Abstinenzweisungen im Rahmen der Führungsaufsicht hat zugenommen. Ebenfalls die damit verbundene Pönalisierung. Liest man sich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, wird das zunächst eindeutig erscheinende „Suchtkrankheit = keine Abstinenzweisung“ dann doch auch wieder relativiert: „Ungeachtet der Tatsache, dass § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB nicht zwischen erfolgreich therapierten und nichttherapierten Suchtkranken unterscheidet, stellt sich die Frage der Zumutbarkeit des Verzichts auf den Konsum von Suchtmitteln in beiden Fällen unterschiedlich dar. Für den Suchtkranken beinhaltet die Abstinenzweisung eine deutlich schwerere Belastung. Dennoch wird auch in diesen Fällen nicht ausnahmslos davon ausgegangen werden können, dass die Weisung, auf den Konsum von Suchtmitteln zu verzichten, unzumutbar ist. Vielmehr ist auch insoweit eine Abwägung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles erfor-derlich.“

 

Auch hierzu wird dann vom Bundesverfassungsgericht dazu noch ergänzend festgestellt: „Dabei sind insbesondere die Fragen, in welchem Umfang überhaupt die Aussicht besteht, den mit einer Abstinenzweisung verfolgten Zweck zu erreichen, ob und inwieweit der Suchtkranke sich (wenn auch erfolglos) Therapieangeboten geöffnet hat und welche Straftaten im Falle weiteren Sucht-mittelkonsums zu erwarten sind, in die Abwägung einzustellen. Jedenfalls in Fällen, in denen ein langjähriger, mehrfach erfolglos therapierter Suchtabhängiger aufgrund seiner Suchtkrankheit nicht zu nachhaltiger Abstinenz in der Lage ist und von ihm keine die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit erheblich beeinträchtigenden Straftaten drohen, ist eine strafbewehrte Abstinenzweisung gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB als unzumutbare Anforderung an die Lebensführung im Sinne von § 68b Abs. 3 StGB und damit zugleich als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit anzusehen.“

 

Der Terminus „Suchtkrank“ also das Substanzverlangen oder ist ein Fachbegriff aus der Suchtmedizin. Craving oder constant craving umschreibt das kontinuierliche und nahezu unbezwingbare Verlangen eines Suchtkranken, sein Suchtmittel zu konsumieren. Craving ist das zentrale Moment des Abhängigkeits- und Entzugssyndroms. Es hat seine neurobiologische Grundlage in der Sensitivierung des Belohnungssystems im Gehirn, des mesolimbischen Systems < J. D. Steketee, P. W. Kalivas: Drug wanting: behavioral sensitization and relapse to drug-seeking behavior. In: Pharmacological reviews. Band 63, Nummer 2, Juni 2011, S. 348–365, doi:10.1124/pr.109.001933, PMID 21490129, PMC 3082449.>. De lege lata ist es also so, dass gegenüber Suchtkranken eine Abstinenzweisung verhängt wird, obwohl hierbei vollkommen klar ist, dass mit der Verhängung dieser Weisung die Pönalisierung eines an sich straffreien Konsums erfolgt und dies im extremen Fall zu einer Verurteilung von einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren führen kann.

 

Die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene individuelle Prüfung des Einzelfalles ist, - auch nicht – eine „leichte Kost“. Denn hier sind es dann wieder die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit die zu berücksichtigen seien. Bedeutet im Klartext, dass wenn eine erhebliche Tangierung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit gesehen wird, dann soll die Abstinenzweisung trotz fest-gestellter Suchterkrankung dann doch zulässig sein. Das ist ein schmaler Grat. Insbesondere dann, wenn m Rahmen einer Beendigung der Maßregel nach § 63 StGB, mittels Prognosegutachten seitens des oder der Sachverständigen empfohlen wird, dass man mittels einer Abstinenzanweisung und deren engmaschiger Kontrolle recht früh erkennen könne, dass der oder die Probandin, aufgrund des Konsums von BtMG oder Alkohol möglicherweise wider Straftaten begehen würde.

 

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist wichtig, weil diese zumindest Begrenzungen zieht, an denen man sich orientieren kann.

 

Das Oberlandesgericht Bamberg hat mit seiner Entscheidung vom 04.12. 2019 eine weitere Möglichkeit geschaffen, einerseits der Pönalisierung zu entgehen und andererseits, dennoch die Kontrolldichte beizubehalten.

 

Ausgangslage war hier der Fall eines aus dem Maßregelvollzug Entlassenen, der aufgrund gutachterlichen Vorschlages, mit einer Abstinenzweisung belegt worden ist. Der die Aussetzung anordnende Beschluss erging am 23.02.2016, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wurde am 30. März 2016 erlassen. Sie betrifft einen Probanden der seit frühester Jugend Drogen, in einem zum Teil nicht unerheblichen Umfang konsumiert hat und an einer manifesten und sehr wahrscheinlich auch irreparablen Suchterkrankung leidet. Aufgrund der – wie nicht zu erwarten – beständigen Verstöße gegen diese Abstinenzweisung, wurde der Proband sogar strafrechtlich sanktioniert. Aus welchen Gründen die vorher den Probanden vertretenden Anwälte/Innen nicht die Möglichkeit genutzt haben, nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes die nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes rechts- als auch verfassungswidrige Abstinenzweisung, abändern zu lassen, muss hier offenbleiben.

 

Der Gang des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Landgericht Würzburg war von Beginn an von „Besonderheiten“ geprägt, die man auch nicht alle Tage findet und – dies sei hier angemerkt – in einer gewissen Art und Weise schon einen bitteren Geschmack hinterlassen müssen.

 

Denn vom Landgericht Würzburg wurde zunächst die Frage aufgeworfen, weshalb also nach mehreren Jahren des Bestehens der Weisung, diese nunmehr unzulässig sein solle – und – immerhin beruhe diese Weisung ja auf den Vorgaben des Sachverständigen. Die Staatsanwaltschaft sah dies zunächst anders und beantragte die Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Beantwortung der Frage, ob der Proband tatsächlich an einer Suchtmittelerkrankung leide. Sodann wurde ein Gutachten seitens des Landgerichtes Würzburg in Auftrag gegeben. Wozu hat sich nicht erschlossen, die Suchterkrankung des Probanden ist seit dessen ca. 12‘tem Lebensjahr in einer Vielzahl von Diagnosen Gutachten und Behandlungen festgeschrieben. Ein Gutachten zu etwas in Auftrag zu geben, was bereits ohne jedweden Zweifel feststeht, ist nicht sonderlich üblich. Zumal, worauf hier noch ergänzend hingewiesen werden muss, die Suchterkrankung im seinerzeitigen Sicherungsverfahren, welches dann zu der Einweisung des Probanden führte, festgeschrieben ist.

 

Der Proband, recht offenkundig seinerzeit im Sicherungsverfahren zu Unrecht eingewiesen, deshalb im Hinblick auf Begutachtungen eher sehr zurückhaltend, hatte also die Qual der Wahl, einerseits sich begutachten zu lassen oder aber andererseits sich einer erneuten Begutachtung zu verwehren. Also entschließt sich der Proband es zumindest zu versuchen. Er wir dann von seiner Betreuerin und einer Vertrauensperson der ihn betreuenden Organisation zu diesem Explorationstermin gebracht. Nach etwa einer Stunde, steht der Proband dann auf und geht. Dies basiert auf dem Hintergrund, dass seinerzeit ebenfalls eine Gutachterin das Gutachten erstellt hat, aufgrund dessen er sich viele Jahre im Maßregelvollzug, untergebracht nach § 63 StGB, befand. Das Landgericht Würzburg übermittelt dies dann der Staatsanwaltschaft, die Staatsanwaltschaft nimmt daraufhin deren Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zurück. Von diesen Vorgängen wird die Verteidigung nicht unterrichtet. Auf Nachfrage nach dem Sachstand des Verfahrens, wird dann wenige Tage später der Beschluss der Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Würzburg übermittelt und der Antrag auf Herausnahme der Abstinenzentscheidung wird, wen wundert es, abgewiesen.

 

Auf die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde, entscheidet dann der 1. Strafsenat bei dem Oberlandesgericht Bamberg wie folgt:

In dem Strafvollstreckungsverfahren gegen,

Betreuerin:

Verteidiger: Rechtsanwältin Henning Hanna, Gießener Straße 6 a, 35410 Hungen, wegen Unterbringung

hier: Weisungen in der Führungsaufsicht; sofortige Beschwerde des Verurteilten

erlässt das Oberlandesgericht Bamberg -1. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 4. Dezember 2019 folgenden Beschluss

Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg vom 26.09.2019 aufgehoben, soweit es die Strafvollstreckungskammer auch abgelehnt hat, von dem Abstinenzgebot aus der Weisung Ziff. IV 1. d) des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg vom 23.02.2016 Cannabisprodukte als berauschende Mittel auszunehmen.

Die Weisung Ziff. IV 1. d) des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg vom 23.02.2016 wird, wie folgt, neu gefasst:

(Er hat)

d) für die Dauer der Führungsaufsicht keine berauschenden Mittel (hiervon ausgenommen Cannabisprodukte) zu sich zu nehmen und sich - zunächst auf Kosten der Staatskasse - zum Nachweis seiner Abstinenz bis zu sechsmal jährlich nach näherer Weisung des Bewährungshelfers unangekündigten Suchtmittelkontrollen - auch in Bezug auf Cannabiskonsum - zu unterziehen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind (§ 68b Abs. 1 S. 1 Ziffer 10 StGB).

Die weitergehende Beschwerde des Verurteilten wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Der Verurteilte und Beschwerdeführer steht unter Führungsaufsicht gemäß Beschluss der Straf-vollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg vom 23.02.2016. Ihm ist unter anderem die Weisung erteilt (Ziff. IV 1. d) des Beschlusses), für die Dauer der Führungsaufsicht keine berau-schenden Mittel zu sich zu nehmen und sich - zunächst auf Kosten der Staatskasse - zum Nachweis seiner Abstinenz bis zu sechsmal jährlich nach näherer Weisung des Bewährungshelfers unangekündigten Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind (§ 68b Abs. 1 S. 1 Ziffer 10 StGB). Die auf vier Jahre festgesetzte Dauer der Bewährungszeit und Führungsaufsicht endet zum 14.03.2020.

Mit Beschluss vom 26.09.2019 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg den Antrag des Verurteilten, die vorstehend wiedergegebene Abstinenz- und Kontrollweisung auf-zuheben, zurückgewiesen. Im Übrigen wird auf den Inhalt des vorgenannten Beschlusses Bezug genommen sowie auf die zwischen allen Verfahrensbeteiligten unumstrittene Tatsache, dass sämtliche seit der Entlassung des Verurteilten aus dem Maßregelvollzug stattgefundenen Suchtmittelkontrollen positiv auf THC gewesen waren.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die als solche bezeichnete sofortige Beschwerde des Ver-urteilten mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 28.10.2019.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg hat mit Antragsschrift vom 04.11.2019 beantragt, die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg vom 26.09.2019 als unbegründet kostenfällig zu verwerfen.

Der Verurteilte äußerte sich hierzu mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 27.11.2019, auf den inhaltlich Bezug genommen wird.

II.

Das Rechtsmittel des Verurteilten betrifft die inhaltliche Ausgestaltung der Führungsaufsicht und ist daher ungeachtet seiner Bezeichnung als einfache Beschwerde gemäß §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 1 StPO statthaft und im Übrigen zulässig eingelegt(§ 306 Abs. 1 StPO).

Das gemäß § 306 Abs. 2 StPO vorgeschriebene Abhilfeverfahren durch das Gericht, welches die angefochtene Entscheidung erlassen hat, hat zwar nicht stattgefunden. Dies macht die Beschwerde jedoch nicht unzulässig. Das Abhilfeverfahren war hier auch nicht nachzuholen, da im Hinblick auf den bereits bevorstehenden Ablauf der Führungsaufsicht eine alsbaldige Entscheidung erforderlich erscheint.

Soweit die Ausgestaltung der Führungsaufsicht angegriffen wird, kann sich ein Rechtsmittel aller-dings nur darauf stützen, dass die vom Gericht getroffenen Entscheidungen gesetzwidrig sind (§§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO). Folglich hat das Beschwerdegericht insoweit auch nur die Gesetzmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung zu überprüfen und darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des nach § 462 a StPO berufenen Gerichts setzen (vgl. KK-Appl, StPO, 7. Aufl., § 453, Rn. 12 m.w.N.). Gesetzwidrig sind Anordnungen nur dann, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar sind, oder sonst die Grenzen des eingeräumten Ermessens überschreiten (vgl. KK-Appl, a.a.O., § 453, Rn. 13). Gleiches muss für den Fall gelten, dass eine Ausübung des Ermessens überhaupt nicht ersichtlich ist. Ansonsten verbleibt es bei dem Grundsatz, die mit den Anordnungen zur Führungsaufsicht verbundene Ermessensentscheidung der Strafvollstreckungskammer zu überlassen. Die Prüfung der Gesetzmäßigkeit umfasst neben der Prüfung, ob die angefochtene Entscheidung in der angewendeten Vorschritt eine ausreichende Rechtsgrundlage hat und ob Ermessensmissbrauch vorliegt, auch die Prüfung, ob der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingehalten sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 453 Rn. 12).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf die Ablehnung einer nachträglichen Aufhebung einer Wei-sung bedeutet dementsprechend, dass sich die Beschwerde nur darauf stützen kann, dass die Ablehnung rechtswidrig oder ermessensfehlerhaft erfolgt ist.

Nach diesen Maßstäben hat das Rechtsmittel Erfolg.

Zur Überzeugung des Senats ist hier aufgrund konkreter Umstände sowie aufgrund nachträglicher Erkenntnisse - im Zweifel - von der - teilweisen - Unzumutbarkeit (§ 68b Abs. 3 StGB) einer Abstinenzweisung auszugehen.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. März 2016 - 2 BvR 496/12 -, Rn. 20ff, juris) hat zur Frage der Unzumutbarkeit bzw. Unverhältnismäßigkeit einer Abstinenz- und Kontrollweisung u. a. ausgeführt:

§ 68b Abs. 3 StGB, wonach bei Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht keine an die Le-bensführung der verurteilten Person unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen, stellt eine einfachgesetzliche Ausprägung der sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen dar. Die Feststellung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne setzt eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, zu deren Wahrnehmung es erforderlich ist, in die Grundrechte einzugreifen und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter des Betroffenen voraus. Dabei kann vorliegend nicht außer Betracht bleiben, dass die Abstinenzweisung gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB strafbewehrt ist und ein Verstoß mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden kann (§ 145a StGB). Insoweit unterscheidet sich die Abstinenzweisung im Rahmen der Führungsaufsicht von einer Weisung im Rahmen der Bewährungsaussetzung gemäß § 56c StGB. Wird gegen diese verstoßen, droht nicht die Verhängung einer neuen Strafe nach Vollverbüßung der festgesetzten Strafe, sondern lediglich die Fortsetzung der Vollstreckung einer bereits angeordneten Strafe und dieses auch nur für den Fall "gröblicher" oder "beharrlicher" Weisungsverstöße (§ 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB). Demgemäß sind an eine Abstinenzweisung gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erhöhte Anforderungen zu stellen. Da im Fall der Verletzung einer Abstinenzweisung gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB die Möglichkeit der Verhängung einer Strafe als der schärfsten dem Staat zur Verfügung stehenden Sanktion besteht, kann von dem Betroffenen die Hinnahme des damit verbundenen ethischen Unwerturteils im allgemeinen nur erwartet werden, wenn er überhaupt in der Lage ist, sich normgerecht zu verhalten und der Schutz überwiegender Interessen anderer oder der Allgemeinheit eine strafrechtliche Sanktionierung gebietet. Demgegenüber kann nicht darauf verwiesen werden, dass es sich bei § 145a StGB um ein Antragsdelikt handelt (§ 145a Satz 2 StGB) und die antragsberechtigte Führungsaufsichtsstelle bei Stellung eines Strafantrags ihrerseits an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden sei. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der Betroffene mit der Anordnung einer Abstinenzweisung einem bisher nicht bestehenden Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt wird, das bei der gebotenen Abwägung der beteiligten Interessen erheblich ins Gewicht fällt, zumal das Vorgehen der zuständigen Stelle im Falle eines Weisungsverstoßes durch den Betroffenen nicht vorhergesehen oder beeinflusst werden kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Erwerb und der Besitz von Betäubungsmitteln ohnehin strafbar seien. Einer darauf gestützten Relativierung der Verhältnismäßigkeitsanforderungen an eine Abstinenzweisung steht sowohl entgegen, dass eine Verurteilung nach § 145a StGB ein eigenes sittliches Unwerturteil über das Verhalten des Weisungsunterworfenen enthält, als auch, dass die Abstinenzweisung über den bestehenden Strafrahmen für Betäubungsmitteldelikte hinausgeht, da sie auch den (ansonsten straflosen) bloßen Konsum von Betäubungsmitteln umfasst.

Während danach bei Personen, die ohne weiteres zum Verzicht auf Substanzkonsum in der Lage sind, eine Abstinenz- und die damit verbundene Kontrollweisung ohne weiteres verhältnismäßig ist, um sie von der Begehung erheblicher, die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit betreffender Straftaten abzuhalten, ist bei nicht- oder erfolglos therapierten langjährigen Suchtkranken nicht ausnahmslos davon auszugehen, dass die Weisung, auf den Konsum von Suchtmitteln zu verzichten, unzumutbar ist. Vielmehr ist insoweit eine Abwägung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles erforderlich. Dabei sind insbesondere die Fragen, in welchem Umfang überhaupt die Aussicht besteht, den mit einer Abstinenzweisung verfolgten Zweck zu erreichen, ob und inwieweit der Suchtkranke sich (wenn auch erfolglos) Therapieangeboten geöffnet hat und welche Straftaten im Falle weiteren Suchtmittelkonsums zu erwarten sind, in die Abwägung einzustellen. Jedenfalls in Fällen, in denen ein langjähriger, mehrfach erfolglos therapierter Suchtabhängiger aufgrund seiner Suchtkrankheit nicht zu nachhaltiger Abstinenz in der Lage ist und von ihm keine die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit erheblich beeinträchtigenden Straftaten drohen, ist eine strafbewehrte Abstinenzweisung gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB als unzumutbare Anforderung an die Lebensführung im Sinne von § 68b Abs. 3 StGB und damit zugleich als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit anzusehen.

Diese hier teils abgekürzt wiedergegebenen Ausführungen treffen den Fall des Verurteilten zwar nicht exakt. Maßgeblich ist in jedem Falle jedoch die Einzelfallbetrachtung unter Zugrundelegung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Leitlinien.

Die von der Strafvollstreckungskammer thematisierte Frage, ob bei dem Verurteilten im Hinblick auf einen Substanzkonsum noch eine den §§ 20, 21 StGB entsprechende Steuerungsfähigkeit besteht, greift in diesem Sinne zu kurz.

Der Verurteilte ist seit seiner frühesten Jugend als suchtkrank anzusehen. Ihm wurde weiterhin die Diagnose einer Polytoxikomanie gestellt. Zudem besteht, was hier eine Besonderheit des Falles ausmacht, eine erhebliche Persönlichkeitsstörung, die der Sachverständige Prof. Dr. in seinem Gutachten vom 15.12.2015, das die Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg vom 23.02.2016 gewesen war, als zyklothyme Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hat und die mit einer begrenzten Belastbarkeit und verminderten emotionalen Stabilität einhergeht, die dann in Drogenkonsum einmünden kann. Der Verurteilte wird vom Sachverständigen letztlich als unfähig eingestuft, seine Lebensgestaltung und Lebensplanung alleine zu bewältigen. In Überforderungssituationen bestehe weiterhin die Gefahr des Cannabiskonsums, der rasch erkannt werden müsse, um einen Rückfall in immer ausgeprägteres Suchtverhalten zu vermeiden Vom Verurteilten gehe die Gefahr weiterer Straftaten (wohl ausschließlich) im Rahmen der Drogendelinquenz aus.

Setzt man das Verhalten des Verurteilten während des bisherigen Verlaufs der Führungsaufsicht dagegen, so müssen diese Einschätzungen des Sachverständigen Prof. Dr. Nedopil als zutreffend beurteilt werden. Die soziale Situation des Verurteilten wird gleichwohl allseits als stabil be-schrieben, obwohl der Verurteilte regelmäßig Cannabis konsumiert. Straftaten nach dem Betäu-bungsmittelgesetz (unerlaubter Erwerb und Besitz) sind daher zu vermuten und weiterhin zu be-fürchten. Für darüberhinausgehende Straftaten bestehen jedoch nach wie vor keine konkreten Anhaltspunkte, insbesondere auch nicht für ein unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, welches das herausragende Anlassdelikt gewesen war. Diese Tat liegt jetzt allerdings schon 10 Jahre zurück; ihre prognostische Bedeutung ist daher erheblich vermindert.

Der Verurteilte ist zur Überzeugung des Senats nach den mit ihm im Verlauf der Führungsaufsicht gemachten Erfahrungen offensichtlich aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung nicht in der Lage, dauerhaft auf den Konsum von Cannabis zu verzichten. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob und inwieweit hierbei die Steuerungsfähigkeit des Verurteilten erheblich eingeschränkt oder aufgehoben ist.

Das OLG Hamm (NStZ-RR 2013, 158) vertritt die Ansicht, dass dann, wenn aufgrund fortbestehender körperlicher Suchtmittelabhängigkeit strafbewehrte Weisungsverstöße nach § 145a StGB als überwiegend wahrscheinlich angesehen werden, von Abstinenzweisungen abgesehen werden sollte. Demgegenüber bestünden jedoch keine Bedenken gegen eine derartige Weisung, wenn lediglich mangelnde Willensstärke oder auch charakterliche Labilität einen Weisungsverstoß befürchten lassen. Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat mit (unveröffentlichten) Beschlüssen vom 15.05.2013 (1 Ws 228/13) und vom 12.02.2014 (1 Ws 27/14) angeschlossen und sie seitdem ständig vertreten. Davon ist auch die Strafvollstreckungskammer ausgegangen.

Der Senat hat darüber hinausgehend jedoch keine Bedenken, diese Rechtsprechung auf Fälle zu übertragen, in denen die Unfähigkeit zum Konsumverzicht mit einer nachgewiesenen psychiatri-schen Störung von einiger Bedeutung für die Lebensführung des Betroffenen zusammenhängt und ein schlüssiges Erklärungsmuster für das Konsumverhalten besteht.

Zu berücksichtigen ist auch, dass der anhaltende Cannabiskonsum bislang nicht zu einer Desta-bilisierung der sozialen Verhältnisse und Einbindung des Verurteilten geführt hat und daher das Bedürfnis für Eingriffsmaßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht geringer ist.

Die aufgrund anhaltenden Cannabiskonsums vom Verurteilten zu erwartenden Straftaten beein-trächtigen die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht erheblich. Der Verurteilte gefährdet unmittelbar nur seine eigene Gesundheit, wobei nicht verkannt wird, dass er durch sein Nachfra-geverhalten auch zur Aufrechterhaltung eines Angebots an Cannabis und somit zur Existenz eines sozial unerwünschten Betäubungsmittelmarkts beiträgt. Insoweit genügen jedoch1 im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Strafandrohungen des Betäubungsmittel- strafrechts; es bedarf nicht zusätzlich der Strafandrohung des § 145a StGB.

Deswegen ist es im konkreten Falle für den Verurteilten unzumutbar und damit unverhältnismäßig, ihn über eine strafbewehrte Weisung auch weiterhin zum Verzicht auf Cannabiskonsum anzuhalten.

Aus diesem Grunde war die Entscheidung im Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg vom 26.09.2019 aufzuheben, soweit sie es auch abgelehnt hat, das Ab-stinenzgebot in Bezug auf Cannabiskonsum aufzuheben.

Soweit es um die Abstinenz hinsichtlich anderer berauschender Mittel geht, ist die Entscheidung jedoch nicht zu beanstanden. Bei dem Verurteilten besteht eine Polytoxikomanie, auch wenn der Suchtdruck aktuell nur Cannabisprodukte betrifft. Der Verurteilte ist in jüngerer Zeit auch durch den Konsum von Amphetaminen aufgefallen. Ein Verzicht auf andere Suchtmittel ist dem Verurteilten zumutbar. Darüber hinaus besteht ein Bedürfnis, den Verurteilten generell hinsichtlich seines Suchtmittelkonsums zu überwachen, um rechtzeitig auf ein erneutes Abgleiten in die Sucht reagieren zu können. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. in seinem Gutachten vom 15.12.2015 ausdrücklich herausgestellt.

An Stelle der Ablehnung einer Aufhebung oder Änderung war die Weisung Ziff. IV 1. d) des Be-schlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg vom 23.02.2016 entsprechend anzupassen, sodass Cannabis vom Abstinenzgebot wegen Unzumutbarkeit bzw. Unver-hältnismäßigkeit zwar auszunehmen ist, die Suchtmittelkontrollen aber auch in Bezug auf Cannabis weiterhin stattfinden. Hierdurch greift der Senat in das insoweit beanstandungsfrei ausgeübte Ermessen der Strafvollstreckungskammer auch nicht ein und korrigiert die genannte Weisung le-diglich in dem Umfange, in dem sie sich nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Verurteilten nachträglich als unzumutbar bzw. unverhältnismäßig erwiesen hat.

Die weitergehende Beschwerde des Verurteilten, der eine völlige Aufhebung der Weisung erstrebt hat, war als unbegründet zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Es ist davon auszugehen, dass der Verurteilte, dessen Verteidigerin ausschließlich mit einem aktuellen Suchtdruck in Bezug auf Cannabisprodukte argumentiert hat, sich mit einer Herausnahme von Cannabisprodukten aus dem Abstinenzgebot bereits erstinstanzlich zufriedengegeben hätte.

 

 

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