Akteneinsicht/Krankenakte/Strafvollzug

An sich, so sollte man meinen, müsste die Rechtsprechung - insbesondere die des Bundesverfassungsgerichtes – auch bei den Behörden angekommen sein – die von derselben betroffen sind, namentlich zählen dazu auch Justizvollzugsanstalten. Aber die Moral von der Geschichte – ist – was ich nicht kenne, muss ich auch nicht umsetzen. Zum Stichtag des 31. März 2022 waren 42.492 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte in den Justizvollzugsanstalten in Deutschland untergebracht. Alle diese haben einen verfassungsrechtlich verankerten Rechtsanspruch auch zu lesen, was man über sie in den Krankenakten schreibt. Denn nur in Kenntnis dessen ist es möglich dem Betroffenen Löschungen zu Falscheinträgen umzusetzen und vieles mehr. Die nachstehende Entscheidung ist der richtige Weg.

 

 

Landgericht Karlsruhe

  • noch nicht rechtskräftig -

15 StVK 417/22

Beschluss

In dem Strafvollzugsverfahren

- Antragsteller -

Verteidiger:

Rechtsanwältin Hanna Henning, Gießener Straße 6 a, 35410 Hungen. Gz.: 22/100/38/HH

gegen

Justizvollzugsanstalt.

Schönbornstraße 32, 76646 Bruchsal - Antragsgegner -

hier: Antrag auf gerichtliche Entscheidung §§ 109, 138 StVollzG

hat das Landgericht Karlsruhe - Strafvollstreckungskammer 15 - am 25. Mai 2023 beschlossen:

Auf den Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung wird die Justizvollzugsanstalt Bruchsal verpflichtet, die Krankenakte des Gefangenen komplett als Kopie an die Verteidigerin Frau Henning zu übersenden.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Gefangenen trägt die Staatskasse.

Der Gegenstandswert wird auf 500,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

1.

Der Antragsteller befindet sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal.

Mit Schreiben vom 29.11.2022, hier eingegangen am 29.11.2022, hat der Antragsteller über seine anwaltliche Vertreterin eine gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG beantragt.

Sie begehrt Übersendung einer Kopie der Krankenakte.

Die Vollzugsbehörde hat zu dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Schreiben vom 12.12.2022 Stellung genommen.

Der Antragsteller erhielt Gelegenheit, sich hierzu zu äußern. Er hat dies mit Verteidigerschreiben vom 11.1.2023 getan. Zudem wurde er am 19.5.2023 persönlich angehört.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.

Zur Frage des Anspruchs auf Einsicht in die Krankenakte hat das BVerfG mit Beschluss vom 20.12.2016 -2 BvR 1541/15 - das Folgende ausgeführt:

Ärztliche Krankenunterlagen betreffen mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen den Patienten unmittelbar in seiner Privatsphäre. Deshalb und wegen der möglichen erheblichen Bedeutung der in solchen Unterlagen enthaltenen Informationen für selbstbestimmte Entscheidungen des Behandelten hat dieser ein geschütztes Interesse daran zu erfahren, wie mit seiner Gesundheit umgegangen worden ist, welche Daten sich dabei ergeben haben und wie man die weitere Entwicklung einschätzt

Dieser grundrechtlich verankerte Anspruch besteht auch dann. wenn der Patient im Strafvollzug oder Maßregelvollzug untergebracht ist.

Im Hinblick auf den Anspruch auf Einsicht in die Krankenunterlagen eines im Maßregelvollzug Untergebrachten hat das BVerfG darauf hingewiesen, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten im Maßregelvollzug in stärkerem Maße gefährdet ist als bei privatrechtlichen Behand-lungsverhältnissen. Die insoweit maßgeblichen Erwägungen lassen sich zumindest teilweise auf die Behandlung von Strafgefangenen übertragen. Er kann selbst dann nicht nach eigenem Wunsch in ein anderes Behandlungsverhältnis wechseln, wenn er kein Vertrauen in den ihn behandelnden Arzt hat und nach seiner Wahrnehmung die Beziehung zerrüttet ist. Auch wo solche Einschätzungen rein subjektiven Charakter haben, ist unter diesen Bedingungen das Selbstbestimmungsrecht des Behandelten durch Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Teilen der eigenen Krankenunterlagen deutlich intensiver berührt als in einem privatrechtlichen Behandlungsverhältnis, in dem der Betroffene sein Selbstbestimmungsrecht dadurch ausüben kann, dass er sich aus dem Behandlungsverhältnis zurückzieht.

Wie der Maßregelvollzug ist auch der Strafvollzug durch ein besonders hohes Machtgefälle zwischen den Beteiligten geprägt. weshalb die Grundrechte der Betroffenen naturgemäß besonderer Gefährdung ausgesetzt sind. Dies gilt auch in Bezug auf die Führung der Akten und den Zugang zu ihnen. Der Inhalt der Krankenunterlagen ist wegen seines sehr privaten Charakters in besonderem Maße grundrechtsrelevant. Ohne Akteneinsicht kann sich der Betroffene nicht vergewissern, ob die Aktenführung den grundrechtlichen Anforderungen entspricht, und seinen Anspruch auf Löschung oder Berichtigung falscher Informationen nicht in gleicher Weise verwirklichen. Dem schließt sich die Kammer an. Die Anwältin kann nicht darauf verwiesen werden, 180 km von ihrem Kanzleisitz nach Bruchsal anzureisen und die Akten dort in der JVA einzusehen. Insbesondere im Hinblick auf das fortgeschrittene Alter des Gefangenen und seine verschiedenen, in der Anhörung näher erläuterten gesundheitlichen Beschwerden, ist der Anspruch begründet.

 

 

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