Einige Anmerkungen zur nachste-henden Entscheidung
Die Amtsaufklärungspflicht der Strafvollstreckungskammer stand hier im hiesigen Verfahren, neben der Frage der Gewährung des rechtlichen Gehöres im Focus. Verbunden mit recht grundsätzlichen Fragestellungen. Zunächst ist es so, dass mit der seit Jahren bestehenden „Psychologisierung“ im Bereich des Strafvollzuges der „gesunde Menschenverstand“ hinter zum Teil bemerkenswerten NEU-Strukturen zurücktritt und Ratings innerhalb dieser Testungen sehr oft mehr als nur willkürlich erscheinen. So wird der Betroffene zum Spielball der jeweiligen Behandler, welche sich – zu oft – nahezu blind auf die Schemata, deren Hintergründe und Anwendung oft nicht umfassend beherrscht werden, abstellen. Das führt dann oft zu schlichtweg falschen Ergebnissen. Insofern ist die in diesem Verfahren aufgeworfene Frage, ob einer der Erkenntnisfinder tatsächlich über die erforderlichen Qualifikationen verfügt von grundsätzlicher Bedeutung. Auch wenn die Strafvollstreckungskammer meinte, dies nicht aufklären zu müssen, ist es von tragender Bedeutung. In einem Verfahren wie hier, wo es tatsächlich darum geht, dass ein Betroffener sein Leben verändern will und hierzu seine Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung durchzusetzen sucht, geht es letztlich auch um die Frage seines Freiheitsanspruches.
Die Vollzugsanstalt war sich ihrer Einschätzung selbst nicht sicher und regte im Verfahren die Einholung eines externen Gutachtens ein. Wozu, wenn man sicher ist, dass alles, was so eruiert wurde, von Seiten der JVA, richtig ist.
Die Tendenz bei einigen Strafvollstreckungskammern sich den Sachvortrag der Justizvollzugsanstalt, ohne eine vertiefte Überprüfung zu eigen zu machen, wird seit Dekaden kritisiert (so schön früher Feest u. A.). Das Oberlandesgericht hat hier eine Grundsatzentscheidung getroffen, die dem vielleicht Abhilfe schaffen wird.
Jede ® Gefangene hat einen durch die Rechtsprechung – insbesondere die des Bundesverfassungsgerichtes – verbürgten Anspruch auf Resozialisierung. Im Zuge dessen wurden in den letzten Jahren eine Vielzahl von sozialtherapeutischen Teilanstalten, Anstalten und Stationen geschaffen, die durch eine engmaschige Verknüpfung bei Gewalt- und Sexualtäter (innen), bei denen Bedarf für eine intensive therapeutische Behandlung (u. A. Psychotherapie, Milieutherapie, Soziales Training) besteht, die defizitären Entwicklungen angehen und so einen erheblichen Beitrag dazu leisten, dass die Betroffenen nach ihrer Entlassung ein straffreies Leben führen.
Allerdings verhält es sich auch so, dass mit der Anwendung von diversen Test-verfahren wie unter anderem der „Psychopathy Checklist Screening Version“, welche nur von besonders ausgebildeten und fachlich (klinisch) versierten Anwendern überhaupt angewendet werden sollen, es oft so erscheint, dass diese Checklisten nach dem System eines Lottoscheines umgesetzt werden. Fest steht, dass die sogenannten historischen Variablen feststehen, also unveränderlich sind. Insofern, bei einer Vordelinquenz, die Ratings generell sehr hoch ausfallen.
Liegt der Anlassverurteilung ein Tötungsdelikt zu Grunde, wird so wie hier geschehen, dass tatsächliche Verhalten im Vollzug des Betroffenen, keiner expliziten Wertung unterzogen. Diese ist aber unverzichtbar.
Die durch die Testungen gewonnenen Ratings sind – was in einer banalen Regelmäßigkeit ausgeblendet wird – allenfalls ein kleiner Bestandteil - - quasi eine Hilfestellung – um sich „ein Bild machen zu können“. Diese quasi von der Hilfestellung hin zu dem Focus der Entscheidung zu befördern, ist unwissenschaftlich.
Es ist die Aufgabe der Strafvollstreckungskammern sicher zu stellen, dass insbeson-dere bei Entscheidungen die das FREIHEITSGRUNDRECHT erheblich zu tangieren geeignet sind, mit einer diesem „Grund“ Recht angemessenen vertieften Prüfungs-maßstab vorzugehen.
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SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT
BESCHLUSS
In der Strafvollzugssache
zurzeit in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken
Antragsteller und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin Hanna Henning, Hungen
g e g e n
das Ministerium der Justiz, Saarbrücken,
Beschwerdegegner,
hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 16. November 2022 durch
die Präsidentin des Oberlandesgerichts die Richterin am Oberlandesgericht den Richter am Landgericht
nach Anhörung des Beschwerdegegners
beschlossen:
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken — Strafvollstreckungskammer— vom 03. Juni 2022 a u f g e h o b e n und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung — auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens — an das Landgericht Saarbrücken — Strafvollstreckungskammer — zurückverwiesen.
2. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 500 -- EURO.
G r ü n d e:
l.
Der Beschwerdeführer verbüßt in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken eine gegen ihn durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 30. November 2018 wegen Mordes verhängte Freiheitsstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten und hat dort eine Aufnahme in das sozialtherapeutische Behandlungsprogramm beantragt. Nachdem eine Testung des Beschwerdeführers mittels des psychologischen Testverfahrens „Psychopathy Checklist Screening Version" (PCL-SV) durch Anstaltspsychologen der Haftanstalt bei einem Cut-Off-Wert von 18 Punkten ein Testergebnis von „mindestens 19 Punkten" ergeben hatte und die Psychologen das Testergebnis durch drei zwischen dem 31. Mai 2019 und dem 24. März 2021 geführte Explorationsgespräche, das Studium der Verfahrensakten und die Auswertung des mehr als 14-seitigen Bewerbungsschreibens des Verurteilten bestätigt sahen, lehnte die Vollzugsplankonferenz eine Aufnahme durch eine dem Beschwerdeführer am 25. Mai 2021 eröffnete Entscheidung ab.
Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 17. Juni 2021 beantragte der Beschwerdeführer, die Entscheidung der Antragsgegnerin aufzuheben und die Antragsgegnerin zur Neubescheidung des Antragstellers zu verpflichten.
Die Haftanstalt ist diesem Antrag entgegengetreten. Sie hat dargelegt, bei Gefangenen mit einem extrem hohen Ausprägungsgrad einer Persönlichkeitsstörung zum Beispiel auf antisozialem, narzisstischem oder Borderline-Niveau stoße die Wirksamkeit einer Sozialtherapie an ihre Grenzen, da durch sie nur sehr schwer eine ausreichend tragfähige, sichere oder veränderungswirksame Beziehung zum Therapeutenteam oder Mitgefangenen hergestellt werden könne und gleichzeitig ein hohes Risiko eines aggressiven Ausagierens von Konflikten bestehe. Dies gelte auch für Straftäter mit sehr hohen Psychopathie-Werten im PCL-SV-Verfahren. Ziel der Sozialtherapie sei unter anderem die Auseinandersetzung mit der Situation des Opfers und dessen Angehörigen, weswegen eine erfolgversprechende Behandlung die Fähigkeit zu Empathie, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl voraussetze. Ein bestehender affektiver Mangel könne auch dazu führen, dass sich der Patient emotional nicht an den Therapeuten binden könne. Schließlich zeige eine Erhebung von Thornton und Blud (2007), dass die Gruppenprozesse im gruppentherapeutischen Setting der Sozialtherapie durch das dominante Verhalten von Gefangenen mit hohen Psychopathie-Werten gestört werden könne. Nach dem Behandlungskonzept der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken aus dem Jahr 2020 sei das Vorliegen eines psychopathologischen Befundes mit einem Rating-Wert von mehr als 17 Punkten im PCLSV-Testverfahren deshalb ein Ausschlusskriterium für die Aufnahme in das Behandlungsprogramm. Bei dem Antragsteller könne im Übrigen auch das Vorliegen einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 60.2) als gesichert gelten.
Der frühere Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers hat im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer geltend gemacht, es sei unzutreffend, dass bei dem Antragsteller eine mit therapeutischen Mitteln nicht erreichbare Persönlichkeitsstörung vorliege, zumal der bestehende Grenzwert von mehr als 18 Punkten in dem durchgeführten psychologischen Testverfahren nur geringfügig überschritten worden sei. Der Sachverhalt sei nur unzureichend aufgeklärt worden. Insbesondere sei die Durchführung nur eines einzigen Testverfahrens unzureichend, zumal die inhaltlichen Testkriterien nicht offengelegt worden seien. Soweit die Justizvollzugsanstalt die Annahme bestimmter Persönlichkeitsmerkmale des Antragstellers anhand von Äußerungen des Antragstellers in den Explorationsgesprächen und in seinem Bewerbungsschreiben zu belegen versucht habe, seien diese selektiv und ohne Kontext wiedergegeben. Nicht berücksichtigt sei im Übrigen, wie der Verurteilte sich heute zu seiner Tat verhalte.
Im Hinblick auf die Einwände des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers hat die Justizvollzugsanstalt mit Schreiben vom 24. Januar 2022 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Einschätzung der Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers, der Frage seiner Therapierbarkeit und empfohlener Maßnahmen angeregt. Die Einholung eines solchen Gutachtens ist im weiteren Verfahrensverlauf nicht erfolgt.
Mit Schriftsatz vom 23. März 2022 hat die Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers bei der Strafvollstreckungskammer beantragt, ihr die Befundunterlagen der Justizvollzugsanstalt zu den erhobenen psychologischen Befunden vorzulegen. Den Antrag hat die Strafvollstreckungskammer mit Verfügung vom 24. März 2022 der Justizvollzugsanstalt zur Stellungnahme vorgelegt. Eine Stellungnahme ist nicht erfolgt.
Ohne die angeforderten Unterlagen beizuziehen oder den Antrag der Verfahrensbevollmächtigten zu bescheiden, hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung durch Beschluss vom 03. Juni 2022 zurückgewiesen.
Gegen diesen der Verfahrensbevollmächtigen am 13. Juni 2022 zugestellten Beschluss hat sie am 29. Juni 2022 Rechtsbeschwerde eingelegt. Sie macht geltend, die Ablehnung einer Aufnahme des Beschwerdeführers in der sozialtherapeutischen Abteilung verstoße gegen S 17 Abs. 2 SLStVollzG, da der Beschwerdeführer nach dieser Vorschrift zwingend in einer sozialtherapeutischen Anstalt unterzubringen sei. Die erforderliche Therapiefähigkeit liege vor. Unter anderem im Vollzugsplan vom 10. Juni 2022 sei dem Beschwerdeführer ein konstant sozialadäquates Verhalten bescheinigt und ausgeführt worden, dass es keine Anzeichen für ein manipulatives Verhalten oder eine Einflussnahme auf Mitgefangene gebe. Angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer bei einer früheren Durchführung des PCL-SV-Testverfahren durch eine im Strafverfahren hinzugezogene psychiatrischen Sachverständige lediglich einen Psychopathie-Wert von 18 erreicht habe und die Sachverständige im Übrigen zu der Einschätzung gelangt sei, dass bei dem Beschwerdeführer zwar eine noch unreife Persönlichkeitsstruktur mit einer dissozialen Persönlichkeitsakzentuierung und deutlichen Psychopathie-Merkmalen vorliege, diese jedoch noch nicht die Kriterien einer dissozialen Persönlichkeitsstörung erreiche, sei nicht nachvollziehbar, dass die Haftanstalt nunmehr zu einer anderen Bewertung gelangt sei. Ein näherer Sachvortrag hierzu sei ihr nicht möglich, da der von ihr am 23. März 2022 gestellte Antrag auf Aushändigung der Befundunterlagen nicht beschieden worden sei und ihr auch das von der Anstalt in Bezug genommene mehr als 14-seitige Bewerbungsschreiben des Beschwerdeführers nicht vorgelegt worden sei. Eine Überprüfung der Richtigkeit der vorgenommenen Zuordnungen und der Korrektheit und Nachvollziehbarkeit der erfolgten Einschätzungen sei deshalb nicht möglich gewesen. Im Übrigen habe die Strafvollstreckungskammer gegen den Grundsatz der Amtsermittlung verstoßen, da sie entgegen der Anregung der Haftanstalt kein Sachverständigengutachten zur Frage der Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers und der Frage seiner Therapierbarkeit eingeholt habe. Nicht aufgeklärt habe die Kammer auch, ob die Anstaltspsychologen, über die für die Durchführung des angewendeten Testverfahrens erforderliche Ausbildung verfügt hätten, die neben einer gesonderten Schulung auch die Qualifikation eines klinischen Psychologen erfordere.
Der Beschwerdegegner hat zu der Rechtsbeschwerde mit Schreiben vom 25. Oktober 2022 Stellung genommen. Er hält die Rüge einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes mangels eines ausreichenden Tatsachenvortrags für unzulässig und ist der Rüge einer Verletzung rechtlichen Gehörs nicht entgegengetreten. Einen konkreten Antrag hat der Beschwerdegegner nicht gestellt.
Il.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Rechtsbeschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt (§ 118 Nr. 2 SLSt-
VollzG i.V.m. 118 Abs. 1 StVollzG). Auch ist es auf die zulässig erhobene Rüge einer
Verletzung der Amtsaufklärungspflicht (§ 118 Nr. 2 SLStVollzG i.V.m. §§ 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, 244 Abs. 2 StPO) geboten, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 118 Nr. 2 SLStV011zG i.V.m. § 116 Abs. 1 Alt. 2 StVollzG).
a) Bei der Rüge einer Verletzung der Amtsaufklärungspflicht handelt es sich um eine Verfahrensrüge, bei der nach § 118 Nr. 2 SLStVollzG i.V.m. § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG die den Mangel begründenden Tatsachen angegeben werden müssen, und zwar so vollständig und genau, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift — ohne Rückgriff auf die Akten oder sonstige Unterlagen — prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zuträfen (KG Berlin, Beschluss vom 27. Juni 2019 — 5 Ws 55/19 Vollz juris; Senatsbeschluss vom 03. September 2020 vollz(Ws) 3/20 Arloth/Krä/Arl0th, StVollzG, 5. Aufl., § 118 Rdnr. 4 m.w.N.). Die zulässige Rüge, das Gericht habe seiner Aufklärungspflicht nach S 244 Abs. 2 StPO nicht genügt, setzt voraus, dass der Beschwerdeführer bestimmte Tatsachen benennt, deren Aufklärung das Gericht unterlassen hat, und die Beweismittel angibt, derer es sich hätte bedienen sollen; ferner bedarf es der Darlegung, welche konkreten Umstände das Gericht zu der vermissten Beweiserhebung hätten drängen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (KG Berlin a.a.O.).
b) Diesen Anforderungen wird der Sachvortrag der Verfahrensbevollmächtigten entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners insoweit gerecht, wie sie geltend macht, die Strafvollstreckungskammer sei gehalten gewesen, vor der Sachentscheidung ein Sachverständigengutachten einzuholen.
(1) Die aufzuklärende Beweistatsache wird ausreichend benannt. Die Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers hat vorgetragen, vor dem Hintergrund der Ausführungen der in der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen, wonach dieser im PCL-SV-Verfahren mit einem Wert von 18 Punkten geratet worden sei und zwar insgesamt eine noch unreife Persönlichkeitsstruktur mit einer dissozialen Persönlichkeitsakzentuierung und deutlichen Psychopathie-Merkmalen in der Grundpersönlichkeit aufweise, die jedoch noch nicht die Kriterien erfüllten, die für eine dissoziale Persönlichkeitsstruktur nach ICD-10 festgeschrieben sind, sei schwer nachvollziehbar, dass das Gericht nunmehr zu einer gänzlich anderen Einschätzung des Rechtsbeschwerdeführers gelange; im Übrigen verfüge der Beschwerdeführer über die für eine erfolgreiche Behandlung erforderliche Therapiefähigkeit. Nach diesem Sachvortrag kann nicht zweifelhaft sein, dass die Verfahrensbevollmächtigte das von ihr vermisste Sachverständigengutachten zur Klärung der Frage der Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers, insbesondere der bei ihm zu verzeichnenden Psychopathie-Werte und einer möglichen Persönlichkeitsstörung, sowie deren Auswirkungen auf seine Therapiefähigkeit für erforderlich hält.
(2) Warum die Strafvollstreckungskammer sich zu der ergänzenden Sachaufklärung gedrängt sehen musste, hat die Verfahrensbevollmächtige durch den Hinweis auf den teilweisen Widerspruch zwischen den Untersuchungsergebnissen der Haftanstalt und denen der psychiatrischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung hinreichend dargelegt, zumal sie auch die fehlende Überprüfung der fachlichen Eignung der Anstaltspsychologen für die Heranziehung des angewendeten psychologischen Testverfahrens beanstandet hat.
(3) Schließlich kann anhand des Sachvortrages der Verfahrensbevollmächtigten auch nicht zweifelhaft sein, dass sie erwartet, dass das einzuholende Sachverständigengutachten ihre Annahme bestätigen wird, dass der Beschwerdeführer, über die für eine sozialtherapeutische Behandlung erforderliche Therapiefähigkeit verfügt.
c) Es ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, eine Nachprüfung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zu ermöglichen (§ 118 Nr. 2 SLStVoilzG i.V.m. 116 Abs. 1 Alt. 2 StVollzG).
(1) Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Nachprüfung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer geboten, wenn vermieden werden soll, dass sonst schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung bestehen oder fortbestehen, wobei es maßgeblich darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat (Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., § 116 StVollzG Rdnr. 3a; Euler in: BeckOK, Strafvollzugsrecht Bund, Graf/Arloth, 22. Edition, Stand: 01.08.2022, § 116 Rdnr. 5). Die bloße Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung führt noch nicht zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde (OLG Bamberg BeckRS 2010, 20246; Arloth/Krä/Arloth, a.a.O.; Euler in: BeckOK, Strafvollzugsrecht Bund, a.a.O.). Eine Ermöglichung der Nachprüfung der Entscheidung durch das Rechts-beschwerdegericht ist jedoch dann geboten, wenn die Strafvollstreckungskammer von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht und die Gefahr besteht, dass sich der Fehler in weiteren Entscheidungen wiederholen wird (BeckOK, Strafvollzugsrecht Bund a.a.O.), wobei die Annahme, es werde nicht zu einer solchen Wiederholung kommen, vor dem Hintergrund der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG Tatsachen voraussetzt, die eine solche Prognose rechtfertigen (BVerfG NStZ-RR 2016, 1 55).
(2) Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist in verfahrensfehlerhafter Weise ergangen und wird verfassungsgerichtlichen Vorgaben nicht gerecht.
Nach § 118 Nr. SLStV011zG i.V.m. §§ 120 Abs. 1 Alt. 2 StVollzG, 244 Abs. 2 StPO hat die Strafvollstreckungskammer im Verfahren nach den SS 109 ff. StVollzG den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 30. November 2017 — 111-1 Vollz (ws) 403 - 404/17 juris, vgl. auch BVerfG NStZ-RR 2007, 92; NJW 2015, 2100; BVerfG, Beschluss vom 22. März 2016 — 2 BvR 566/15 —, juris). Zu diesen Tatsachen gehört vorliegend die Frage der Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers und deren Auswirkungen auf seine Therapiefähigkeit, da nach § 17 Abs. 2 SLStVolIzG Gefangene, die eine schwerwiegende Straftat gegen Leib oder Leben begangen haben, nur dann in einer sozialtherapeutischen Abteilung unterzubringen sind, wenn ihre Teilnahme an den dortigen Behandlungsprogrammen zur Verringerung ihrer erheblichen Gefährlichkeit angezeigt ist, was ihre grundsätzliche Therapiefähigkeit voraussetzt (Arloth/Krä/Krä, a.a.O., § 17 SLStVollzG Rdnr. 1, § 17 SächsStV011zG Rdnr. 3).
Die Frage der Therapiefähigkeit des Beschwerdeführers hat die Strafvoll-streckungskammer nicht in der gebotenen Weise aufgeklärt. Sie stützt ihre Annahme, dem Beschwerdeführer fehle es an einer grundsätzlichen Beziehungsfähigkeit, Problembewusstsein, einer intrinsischen Veränderungsmotivation, der Fähigkeit und Bereitschaft zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Situation des Opfers und dessen Angehörigen, der Fähigkeit zu Empathie, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl, Schuldbewusstsein und Reue, und er zeichne sich durch eine Oberflächlichkeit im Hinblick auf emotionale Äußerungen, Großspurigkeit, Impulsivität, Verantwortungs- und Rücksichtslosigkeit, eine reduzierte Verantwortungsübernahme sowie ein antisoziales Verhalten aus, allein auf die von der Haftanstalt erhobenen Befunde. Dabei hat sie nicht beachtet, dass in Fällen, in denen — wie hier — die Sachdarstellung der Vollzugsanstalt von dem Gefangenen bestritten wird, das Gericht seiner Entscheidung nicht ohne weiteres die Ausführungen der Anstalt zu Grunde legen darf (BVerfG, Beschlüsse vom 04. Februar 2009 - 2 BvR 1533/08 -, juris und vom 22. März 2016 - 2 BvR 566/15 -, juris; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 17. September 2019 — 111-1 Vollz (ws) 426/19 —, juris; Arioth/Krä/Arloth, a.a.O., S 115 StVollzG Rdnr. 2 m.w.N.). Zwar können auch in einem solchen Fall weitere tatsächliche Ermittlungen entbehrlich sein; die Annahme, es könne ohne weitere Sachverhaltsaufkiärung von der Richtigkeit der behördlichen Darstellung ausgegangen werden, bedarf aber konkreter, auf die Umstände des Einzelfalles bezogener Gründe (BVerfG a.a.O.). Solche Gründe werden von der Strafvollstreckungskammer nicht aufgezeigt. Stattdessen legt die Rechtsbeschwerde dar, dass die Befunderhebung der Justizvollzugsanstalt zu teilweise anderen Ergebnissen und Annahmen geführt habe als die der im Strafverfahren hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen.
Der Sachaufklärungspflicht der Strafvollstreckungskammer stand nicht entgegen, dass der Haftanstalt bei der Prüfung, ob die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Abteilung angezeigt ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht (Arloth/Krä/Krä, a.a.O., § 17 SLStVollzG Rdnr. 1; § 17 SächsStVollzG Rdnr. 3). Auch ein solcher Beurteilungsspielraum entbindet die Vollstreckungsgerichte nicht von ihrer Pflicht, den Sachverhalt umfassend aufzuklären und dabei festzustellen, ob die Vollzugsbehörde den von ihr zu Grunde gelegten Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und damit eine hinreichende tatsächliche Grundlage für ihre Entscheidung geschaffen hat (Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., § 115 Rdnr. 16; Euler in: BeckOK, Strafvollzugsgesetz Bund, a.a.O., S 115 Rdnr. 20; vgl. BGH, Beschluss vom 22. Dezember 1981 -5 AR (Vs) 32/81 --,juris; BVerfG, Beschluss vom 21 . September 2018 — 2 BvR 1649/17 —, juris). Auch in Ansehung des bei der Entscheidung nach S 17 SLStVollzG bestehenden Beurteilungsspielraums hätte die Strafvollstreckungskammer deshalb von Amts wegen aufklären müssen, ob die Annahme der Anstalt, bei dem Beschwerdeführer lägen psychopatische Wesenszüge vor, die den Erfolgsaussichten einer sozialtherapeutischen Behandlung entgegenstünden, der Sache nach zutreffend ist.
(3) Anhaltspunkte dafür, dass die Strafvollstreckungskammer den Umfang der Aufklärungspflicht im Verfahren nach den SS 109 ff. StVollzG nur im Einzelfall verkannt hat oder aus sonstigen Gründen keine Wiederholung des zu verzeichnenden Verfahrensfehlers droht, liegen nicht vor.
Die Rechtsbeschwerde ist daher insgesamt zulässig und aufgrund des Verstoßes gegen die Amtsaufklärungspflicht auch begründet.
d) Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Strafvollstreckungskammer vor einer neuerlichen Sachentscheidung auch über den Antrag des Beschwerdeführers, ihm die — gegebenenfalls auch im Rahmen der Einholung eines Sachverständigengutachtens relevanten — Befundunterlagen der Justizvollzugsanstalt (einschließlich des Bewerbungsschreibens des Beschwerdeführers) zur Verfügung zu stellen, zu befinden haben wird (vgl. hierzu Arloth/Krä/Arloth, a.a.O., § 185 Rdnr. 5a, aber auch BVerfG, Beschlüsse vom 12. November 2020 — 2 BvR 1616/18 — und vom 4. Mai 2021 —2 BvR 277/19 —, jeweils zitiert nach juris).
Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf den SS 65 Satz 1, 60, 52 Abs. 1 GKG.
Saarbrücken, den 17.11.2022
Rechtsanwältin Hanna Henning
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