Verweigerung der Einsicht in die Krankenakte Maßregelvollzug

Feststellunginteresse - Nichtgewährung von Akteneinsicht

 

 

Landgericht Würzburg

Abteilung für Strafsachen Az.: 2 StVK 871/22

In dem Strafvollzugsverfahren

XXX,

derzeit in d. Rupert-Mayer-Klinik für Forensische Psychiatrie, Am Sommerberg 64, 97816 Lohr - Antragsteller -

Verteidiger:

Rechtsanwältin Henning Hanna, Gießener Straße 6 a, 35410 Hungen, Gz.: 23/76/HH

gegen

Rupert-Mayer-Klinik,

Rupert-Mayer-Klinik, für Forensische Psychiatrie, Am Sommerberg, 97816 Lohr - Antragsgegnerin -

hier: Akteneinsicht Patientenakte

erlässt das Landgericht Würzburg - Kleine Strafvollstreckungskammer - am 8. November 2023 folgenden

Beschluss

1             Es wird festgestellt, dass der Antragsteller durch die verzögert gewährte Einsicht in seine

Patientenakte in seinen Rechten verletzt wurde.

2.            Die Kosten des Verfahrens und der Rechtsbeschwerde sowie die notwendigen Auslagen des Antragstellers fallen der Staatskasse zur Last.

3.            Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 500 € festgesetzt.

 

Gründe:

A.

Der Antragsteller befindet sich im Maßregelvollzug in der Rupert-Mayer-Klinik für Forensische Psychiatrie (Antragsgegnerin).

Mit schriftlichem Antrag vom 07.11.2021 begehrte der Antragsteller vollständige Einsicht in seine Patientenakte. Den Antrag begründet er damit, dass ihm die Kenntnis seiner Patientenakte eine bessere Mitarbeit in der Psychotherapie ermöglichen und das gegenseitige Vertrauen durch eine gesteigerte Transparenz fördern würde. Ebenso wies der Antragsteller daraufhin unter Umstän¬den Auszüge der Patientenakte gegen Bezahlung kopiert haben zu möchten. Nach Besprechung des Antrags im multiprofessionellen Team wurde der Antragsteller zur Abklärung auf die Oberarztvisite verwiesen. Dort wurde das Begehren nicht weiter verfolgt, sodass der Antragsteller keine Einsicht in seine Patientenakte hatte.

Mit Antrag vom 04.09.2022 bat der Antragsteller erneut um Einsicht in seine komplette Patientenakte, damit er sich wichtige Dokumentationen kopieren könne. Daraufhin wurde dem Antragsteller mehrfach zeitlich begrenzt unter Aufsicht Einsicht in seine umfangreiche elektronisch geführte Patientenakte gestattet. Ablichtungen wurden ihm nicht zur Verfügung gestellt. Diesbezüglich soll¬te sich der Antragsteller an seinen Bezugstherapeuten wenden.

Mit weiterem Antrag vom 02.10.2022 bat der Antragsteller erneut darum, dass er sich auch ein¬zelne „Vorfälle" aus seiner Patientenakte ausdrucken lassen dürfe. Nach Besprechung des An¬trags im multiprofessionellen Team wurde der Antragsteller erneut auf eine Rücksprache mit dem Therapeuten verwiesen.

Mit Schreiben vom 15.10.2022, hier eingegangen am 18.10.2022, hat der Antragsteller eine ge-richtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG beantragt und vollständige Einsicht in seine Pati-ententakte begehrt. Seinem Antrag hat er Abschriften der Teamanträge vom 07.11.2021, 04.09.2022 und 02.10.2022 beigefügt.

Die Antragsgegnerin teilte in ihrer Stellungnahme vom 11. 11.2022 mit, dass der Antragsteller be-züglich der Anfertigung von Kopien an den für ihn zuständigen Bezugstherapeuten verwiesen worden sei, sich allerdings nicht mehr an diesen gewandt habe. In einer weiteren Stellungnahme vom 31.01 .2023 gab die Antragsgegnerin an, dass man mit dem Antragsteller so verblieben sei, dass er für benötigte Kopien einen Antrag an das Behandlungsteam stellen solle.

Am 27.02.2023 forderte die vom Antragsteller bevollmächtigte Anwältin schriftlich von der An-tragsgegnerin vollständige Einsicht in die Patientenakte des Antragstellers. Da das Schreiben an die Allgemeinpsychiatrie des Bezirkskrankenhauses Lohr am Main gerichtet war, wurden der Anwältin nur die dort vorhandenen Akten über den Aufenthalt des Antragstellers auf der allgemein-psychiatrischen Abteilung aus den Jahren 2017 und 2018 übersandt. Erst nach Klarstellung ihres Begehrens wurde ihr am 06.03.2023 die Patientenakte des Antragstellers über seinen Aufenthalt in der Forensik übersandt.

Daraufhin stellte der Antragsteller mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12.05.2023 seinen Verpflich-tungsantrag auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag um und beantragte feststellen zu lassen, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller durch die verzögerte Übersendung der Krankenakte in seinen Rechten verletzt habe.

Mit Beschluss des Landgerichts Würzburg - Kleine Strafvollstreckungskammer - vom 15.05.2023 wurde der Antrag mangels Feststellungsinteresses kostenpflichtig als unzulässig zurückgewiesen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wurde der Beschluss des Landgerichts Würzburg aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zu-rückverwiesen. Das geltend gemachte Feststellungsinteresse konnte mit Blick auf die bei der Ak-teneinsichtsgewährung eingetretene Verzögerung nicht versagt werden. Die Hintergründe dieser Verzögerung bedurften weiterer Aufklärung.

Mit Schreiben vom 08.09.2023 hat die Antragsgegnerin zu den Hintergründen der Verzögerung er-gänzend Stellung bezogen. Demzufolge sei der Antragsteller zunächst an den Oberarzt verwiesen worden, weil nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht die Entscheidung darüber, ob therapeutische Bedenken gegen eine uneingeschränkte Akteneinsicht bestünden, dem Arzt überlassen sei. Zwar sei der Antragsteller in der Folgezeit in der Oberarztvisite vorstellig geworden, allerdings habe er sein Anliegen nicht mehr geäußert. Auch gegenüber seinem damals zuständigen Bezugstherapeuten habe er seinen Wunsch nicht wiederholt. Erst mit Antrag vom 04.09.2022 habe der Antragsteller sein Anliegen erneut geltend gemacht. Daraufhin sei der Antragsteller an seinen Bezugstherapeuten verwiesen worden, da diese über die notwendigen Berechtigungen, die elektronisch geführten Akten vollständig einzusehen. Dies habe man immer wieder zeitnah unter Aufsicht des zuständigen Bezugstherapeuten bzw. dessen Vertreters ermöglicht. Der Antrag vom 02.10.2022 habe sich lediglich auf die Anfertigung von Kopien aus der Patientenakte bezogen.

Am 27.02.2023 forderte die vom Antragsteller bevollmächtigte Anwältin schriftlich von der An-tragsgegnerin vollständige Einsicht in die Patientenakte des Antragstellers. Da das Schreiben an die Allgemeinpsychiatrie des Bezirkskrankenhauses Lohr am Main gerichtet war, wurden der Anwältin nur die dort vorhandenen Akten über den Aufenthalt des Antragstellers auf der allgemein-psychiatrischen Abteilung aus den Jahren 2017 und 2018 übersandt. Erst nach Klarstellung ihres Begehrens wurde ihr am 06.03.2023 die Patientenakte des Antragstellers über seinen Aufenthalt in der Forensik übersandt.

Daraufhin stellte der Antragsteller mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12.05.2023 seinen Verpflich-tungsantrag auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag um und beantragte feststellen zu lassen, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller durch die verzögerte Übersendung der Krankenakte in seinen Rechten verletzt habe.

Mit Beschluss des Landgerichts Würzburg - Kleine Strafvollstreckungskammer - vom 15.05.2023 wurde der Antrag mangels Feststellungsinteresses kostenpflichtig als unzulässig zurückgewiesen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wurde der Beschluss des Landgerichts Würzburg aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zu-rückverwiesen. Das geltend gemachte Feststellungsinteresse konnte mit Blick auf die bei der Ak-teneinsichtsgewährung eingetretene Verzögerung nicht versagt werden. Die Hintergründe dieser Verzögerung bedurften weiterer Aufklärung.

Mit Schreiben vom 08.09.2023 hat die Antragsgegnerin zu den Hintergründen der Verzögerung er-gänzend Stellung bezogen. Demzufolge sei der Antragsteller zunächst an den Oberarzt verwiesen worden, weil nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht die Entscheidung darüber, ob therapeutische Bedenken gegen eine uneingeschränkte Akteneinsicht bestünden, dem Arzt überlassen sei. Zwar sei der Antragsteller in der Folgezeit in der Oberarztvisite vorstellig geworden, allerdings habe er sein Anliegen nicht mehr geäußert. Auch gegenüber seinem damals zuständigen Bezugstherapeuten habe er seinen Wunsch nicht wiederholt. Erst mit Antrag vom 04.09.2022 habe der Antragsteller sein Anliegen erneut geltend gemacht. Daraufhin sei der Antragsteller an seinen Bezugstherapeuten verwiesen worden, da diese über die notwendigen Berechtigungen, die elektronisch geführten Akten vollständig einzusehen. Dies habe man immer wieder zeitnah unter Aufsicht des zuständigen Bezugstherapeuten bzw. dessen Vertreters ermöglicht. Der Antrag vom 02.10.2022 habe sich lediglich auf die Anfertigung von Kopien aus der Patientenakte bezogen.

Der Antragsteller erhielt Gelegenheit sich hierzu zu äußern. Er hat dies mit Schriftsatz seiner An-wältin vom 05.10.2023 getan. Er vertritt die Auffassung, dass ihm auf seinen Antrag hin zeitnah eine vollständige Kopie der Krankenakte hätte ausgehändigt werden müssen, damit er diese in Ruhe hätte einsehen können.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird gemäß § 115 Abs. 1 S. 3 StVollzG auf die oben genannten Schriftsätze, Anlagen und Beschlüsse Bezug genommen.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und begründet.

1.            Zulässigkeit

Der ursprünglich erhobene Verpflichtungsantrag nach § 109 Abs. 1 S. 2 BayStVollzG hat sich nach Erhebung des Antrags durch die vollständige Gewährung der Einsicht in die Patientenakte des Antragstellers erledigt. In derartigen Fällen kann der Antragsteller seinen ursprünglichen Antrag in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umstellen, wenn er ein berechtigtes Interesse daran hat feststellen zu lassen, dass die verzögerte Gewährung von Akteneinsicht rechtswidrig gewesen ist, § 115 Abs. 3 StVoIlzG. Ein derartiges Interesse kann nach der Rechtsbeschwerdeentscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 31.07.2023 mit Blick auf die lange Verzögerung bei der Akteneinsichtsgewährung nicht versagt werden.

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist in der Sache auch begründet.

Art. 32 Abs. 1 BayMRVG sieht vor, dass für jeden Maßregelvollzugspatienten eine Patientenakte entsprechend § 630f BGB zu führen ist. In dieser Akte sind sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und zukünftige Behandlung wesentliche Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzu-zeichnen, § 630f Abs. 2 BGB.

Maßregelvollzugspatienten - und damit-auch der Antragsteller - haben einen Anspruch auf voll-ständige Einsicht in die sie betreffende Patientenakte. Dieser Anspruch folgt aus dem Recht auf Selbstbestimmung und der personalen Würde eines jeden (Maßregelvollzugs-)Patienten (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). Er umfasst insbesondere auch das Recht auf die Übermittlung vollständiger Kopien und Ausdrucke, denn nur ein vollständiges Doppel versetzt den Betroffenen in die Lage, effektiven Rechtsschutz im Falle einer gerichtlichen Überprüfung zu erlangen und eine verlässliche Kontrolle des Datenbestands zu ermöglichen. Aufgrund des erheblichen Machtgefälles zwischen Behandlern und Patienten im Maßregelvollzug kann dieses Recht nur aufgrund von gewichtigen Belangen eingeschränkt werden (BVerfG, Beschluss vom 09.01.2006 - 2 BvR 443/02, BVerfG, Beschluss vom 20.12.2016 - 2 BvR 1541/15, BayObLG, Beschluss vom 31.07.2023 - 203 StObWs 241/23).

Der Antragsteller hat erstmals am 07.11.2021 vollständige Einsicht in seine Patientenakte beantragt. Trotz di9ses Antrags wurde ihm in der Folgezeit weder Einsicht in seine Patientenakte gewährt noch ein vollständiges Doppel seiner Patientenakte überlassen. Das Einsichtsrecht des Antragstellers kann jedoch nur aufgrund von wichtigen Belangen eingeschränkt werden. Solche Belange wurden weder vorgetragen noch sind sie nach Aktenlage ersichtlich. Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, der Antragsteller sei auf die Oberarztvisite verwiesen worden, da nur dieser beurteilen könne, ob therapeutische Bedenken gegen die Gewährung der Akteneinsicht bestünden, der Antragsteller sein Begehren aber gegenüber dem Oberarzt nicht mehr weiter verfolgt habe, vermag dies die Antragsgegnerin nicht zu entlasten. Vielmehr hätte sie den Antrag eigenständig und unverzüglich dem zuständigen Oberarzt zur Kenntnisnahme und Entscheidung weiterleiten müssen. Dies hat sie ohne nachvollziehbaren Grund nicht getan. Insbesondere enthielt der Antrag des Antragstellers vom 04.09.2022 keine inhaltlichen Mängel oder Unklarheiten. Auch wurden seitens der Antragsgegnerin keine der Akteneinsicht entgegenstehenden therapeutischen Belange geltend gemacht. Trotz zweier weiterer Anträge am 04.09.2022 und 02.10.2022 kam es zu weiteren Verzögerungen bei der Einsicht in die Patientenakte. Erst im März 2023 erhielt der Antragsteller auf Betreiben seiner Anwältin vollständige Einsicht in seine Patientenakte. Zwischen dem ersten Antrag und der Erfüllung seines Anspruchs lag somit ein Zeitraum von 16 Monaten. Eine derartige Verzögerung ist mit den Rechten des Antragstellers nicht vereinbar. Insbesondere wird ihm hierdurch ein effektiver Rechtsschutz unmöglich gemacht, sodass der Fortsetzungsfeststellungsantrag begründet ist.

 

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