Einweisungen §  63 StGB

Psychiatrie, Einweisungen, Praxis

 

 

"Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen." Friedrich Nietzsche

 

Der Arbeitsschwerpunkt „Psychatrie“

 

„Die Forensische Psychiatrie hat zum Skandal manches beigetragen: eklatante Verstöße gegen eigene "Qualitäts"-Standards. Routiniert haben sich Gutachter und Justiz die Bälle zugespielt. Von "Heilung" ist die Rede, doch allzu oft geht es bloß darum, den Widerstand eines Beschuldigten zu brechen, seine Einwände in rückstandslos verdampfendes Geschreibe verwandelnd. Das ist ein Desaster für eine Wissenschaft, die einst angetreten ist, die Person des Beschuldigten aus den Fängen einer gnadenlosen Vergeltungsjustiz zu befreien.“

Thomas Fischer Richter am BGH

 

Es ist so wie es ist und so wie es ist sollte es nicht sein. Etwas daran zu verändern ist unser Ziel.

 

Mancher Blick in die Vorstellungswelten von Gutachtern erscheint oft so, als versuche man mit bloßem Auge den Mars zu sehen. Der Gutachter im Ermittlungs-, Straf-, Aussetzungs-, oder Anordnungsverfahren der Sicherungsverwahrung steht immer wieder und auch immer mehr im Focus, einer sehr oft nachfragenden Kritik der professionell tätigen und engagierten Verteidigung. Oder aber, dass ist die andere, für den Betroffenen, bittere Seite einer nicht professionellen Verteidigung, man nimmt es so hin und die Anordnung erfolgt.

Der Fall Mollath, das Buch von Gerhard Strate ist eine besondere Denkschrift zu dem was das Versagen der Justiz und der Psychiatrie beinhaltet. Rechtsanwalt Strate hat sich sehr vehement auf die Fehler der Psychiatrie bezogen und dabei erscheint es zunächst ein wenig so, dass der Versagensanteil der Justiz zu kurz gekommen sei. Dies merkt der Richter am BGH Thomas Fischer als Rezensent des Buches an. Aber, wenn letztlich alle versagt haben dann kann man sich durchaus auf einen Bereich beschränken, der möglicherweise mehr als nur ursächlich für viele Jahre Unfreiheit war.

In der Realität kann es schnell gehen.

Die Anforderungen an die Juristen und die Gutachter sind hoch. Werden diese den Anforderungen nicht gerecht, kann das Leben eines Menschen, sehr schnell und für eine sehr lange Zeit in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung enden. Dies soll, so meint man vielleicht, eher die Ausnahme als denn die Regel sein. In der Realität dürften viele Einweisungsentscheidungen einer unabhängigen sach-lichen Überprüfung wohl eher nicht standhalten.

„Der Fall Mollath ist in der Tat einer, in dem sich die grausamen Schwächen des Paragrafen 63 des Strafgesetzbuches symptomatisch zeigen.

Kaum ein anderer Paragraf hat so massive Auswirkungen wie dieser, aber kaum ein anderer Paragraf genießt so wenig Beachtung. Der "63er" ist der Paragraf, der einen Straftäter flugs in die Psychiatrie bringt, aus der er dann gar nicht mehr flugs herauskommt. Dieser 63 ist ein dunkler Ort des deutschen Strafrechts“ (Heribert Prantl am 27.11. 2012).

Der Fall Ulvi K. ist einer jener Fälle wo man auf so viele Fragen die im Raum stehen, die drängend nach Antworten suchen, auf ein abgründiges Schweigen trifft. Auch hier sind es unter anderem die Gutachter, welche sich keinesfalls, freundlich formuliert,  vorteilhaft präsentieren.

Und es ist noch immer kein Ende in Sicht! Das Landgericht Marburg hat mit Beschluss vom 12.01. 2016 – 3 Qs 23/15 eine Maßregelunterbringungsentscheidung gem. § 63 StGB für erledigt erklärt.

Die vorliegende Entscheidung des LG Marburg basiert auf einem Urteil des Amtsgerichtes – Jugendrichter – Kassel vom 05.11. 2012. Das Landgericht Marburg hat sich hierzu nicht geäußert, für die hier getroffene Entscheidung war es ohne Bedeutung.

Fest steht, dass es dem Amtsgericht –Jugendrichter – Kassel gem. § 39 Abs. 2 JGG verboten ist, eine Unterbringung gem. § 63 StGB anzuordnen. Denn der Gesetz-geber hat für die Verhandlung hinsichtlich einer möglichen Unterbringung durch eine Änderung des Gesetzes aus dem Jahre 2008 die große Jugendkammer vorgesehen und dabei festgeschrieben, dass deren volle fünfköpfige Besetzung vorgeschrieben ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 5 JGG, § 33b Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 JGG, § 108 Abs. 3 JGG). Der Gesetzgeber spricht hier von verfahrensrechtlichen Sicherungen, welche falsche Entscheidungen verhindern sollen.

Es wird ein langer Weg bis dahin sein, denn immerhin, im führenden Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz wird auch in der 18. Auflage 2016 ausgeführt, auch nach der Neuregelung des JGG sei die Strafgewalt des Jugendschöffengerichts unbegrenzt und es könne, obwohl diesem nur ein Berufsrichter vorstehe, zumindest theoretisch weiterhin eine Unterbringung aussprechen (Eisenberg, JGG, 18. Auflage 2016, § 40 Rn. 9).

Aus den Feststellungen des Beschlusses des Landgerichtes Marburg:

„Der Beschwerdeführer wurde durch das in der Beschlussformel bezeichnet Urteil nach § 63 StGB untergebracht, weil er in 16 Fällen sog. E-Bay-Betrügereien begangen hatte, indem er Kaufwilligen Gegenstände verkaufte, die er nicht besaß, und den Kaufpreis wie geplant verwendete, "feiern, Spielhallen besuchen, aber auch Drogen kaufen" zu können. Der Schaden lag zwischen 115,- und 500 Euro. Die Käufer haben nicht das Bezahlsystem Pay-Pal oder andere Sicherungen genutzt. Der in hohem Maße psychisch auffällige Beschwerdeführer befand sich mehrfach und z.T. für längere Zeit in stationärer Behandlung in Kinder- und Jugendpsychiatrien und Heimeinrichtungen. Nach dem Urteil "kam es [2008] zu Bedrohungen der Mutter und der Schwester mit einem Messer"; Näheres dazu ist nicht festgestellt.

Das Urteil übernahm die Diagnose des Sachverständigen  einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis und ferner dessen Einschätzung, dass die Psychose kausal für die Taten gewesen sei. Dazu führt das Urteil aus:

"[Der Sachverständige Dr.  hat ausgeführt:] Betrachte man die Tatabläufe im vorliegenden Fall für sich alleine, so ergebe sich zunächst kein Hinweis darauf, dass das Handeln des Angeklagten durch die Krankheitssymptomatik bestimmt gewesen sein könnte. Es sind zwar bei dem Angeklagten akustische und optische Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Beeinflussungserleben bekannt, aber diesbezüglich verweigere er die Information. Zur Beurteilung der Schuldfähigkeit müsse allerdings berücksichtigt werden, dass die Schizophrenie das Persönlichkeitsgefüge derart beeinträchtigen könne, das Übersicht, Kritikfähigkeit, adäquate Selbsteinschätzung, verinnerlichtes Wertgefüge und Impulskontrolle nicht mehr in dem Umfang das Handeln, Denken und Fühlen bestimmen, wie es beim gleichen Menschen vor der Erkrankung der Fall war, so dass die Steuerungsfähigkeit bezüglich normabweichender Verhaltensweisen auch dann als erheblich vermindert angenommen werden muss, wenn das Delikt nicht unter direktem Einfluss einer floriden psychotischen Symptomatik geschehen ist. Der Einfluss der Erkrankung greife schon in die Entscheidungsfindung des Täters ein, und zwar in dem Moment, in dem er sich für oder gegen die Tat entscheide. Dies sei bei dem Angeklagten im vorliegenden Fall lehrbuchhaft zu beobachten. Obwohl er schon aufgefallen war und sogar polizeilich vernommen wurde sowie ihm bereits eine erste Anklageschrift zugestellt worden war und schließlich sogar sein Konto gesperrt worden war, setzte er sein Verhalten fort."

Der Beschwerdeführer war bis dahin drei Mal, u.a. wegen Diebstahls, Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Betrugs in sieben Fällen zu jugendrichterlichen Maßnahmen und Arrest verurteilt worden; ein weiteres Verfahren, bei dem ihm zur Last gelegt worden war, in angetrunkenem Zustand Polizeibeamte beleidigt und Widerstand geleistet zu haben, wurde eingestellt, weil er sich inzwischen in einer Jugendhilfeeinrichtung befand.“

 

Immerhin, so der Beschluss des LG Marburg, hat der zuständige Jugendrichter als Vollstreckungsleiter, mit drei Beschlüssen vom 01.11. 2013, 31.10. 2014 und 02.12. 2015 unter Abstellung auf die Stellungnahmen der Klinik, die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung abgelehnt. Auch in diesen drei Verfahren ist nicht aufgefallen, dass ein unzuständiges Gericht die Einweisung verfügt hat.

Die Begründung dieser Entscheidung hatte unter anderem zum Inhalt:

„die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung abgelehnt und in dem angefochtenen Beschluss die Einholung eines externen Gutachtens angekündigt, um dem Beschwerdeführer "deutlich zu machen, dass seine Skepsis [gegen die Unterbringung und die Behandlung] ernst genommen wird".

„Die Staatsanwaltschaft hat vor dem Jugendrichter beantragt, die Maßregel nicht zur Bewährung aus-zusetzen; Im Beschwerdeverfahren hat sie sich nicht geäußert.“

 

Man kann nur staunen.

Der für die hier getroffene Entscheidung (Urteil) in jeder Beziehung unzuständige Jugendrichter hat eine Einweisungsentscheidung verfügt, die er nicht hat verfügen dürfen, weil er kraft Gesetzes dafür unzuständig war.

Dies fehlt in dem lesenswerten Beschluss des LG Marburg, welches sich zur Frage der unzulässigen Unterbringung recht deutlich äußert „Es erscheint höchst fraglich, ob die Unterbringung hätte angeordnet werden dürfen.“ Das LG Marburg bezieht sich umfassend darauf, dass es sich um Vermögensdelikte handelt.

Gem. § 359 Nr. 3 StPO ist die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten zulässig, wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat, sofern die Verletzung nicht vom Verurteilten selbst veranlasst ist.

Und wie verhält es sich mit den Straftatbeständen der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung?

Immerhin so das Landgericht Marburg:

„Der Vollzug der Maßregel hat keine belastbaren Umstände ergeben, dass von dem Untergebrachten aufgrund derselben Störung, die zur Unterbringung geführt hat, wesentlich schwerere rechtswidrige Taten zu befürchten sind; insbesondere hat es keine gewaltsamen Auseinandersetzungen gegeben. Verbale Streitigkeiten haben in diesem Zusammenhang als sog. Anstaltsartefakte keine Bedeutung und könnten im Übrigen eine Unterbringung ohnehin nicht rechtfertigen.

Die Dauer der aufgrund der Verurteilung erlittenen Freiheitsentziehung, die nach § 51 StGB auch die dem Urteil vorangegangenen Zeiten umfasst, stellt stets einen gewichtigen Umstand bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit dar. Zwar ist der Gesamtzeitraum vorliegend mit fast vier Jahren noch nicht "besonders lang" im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG. Jedoch muss berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer für dieselben 16 Taten als voll schuldfähiger Heranwachsender, der nach Jugendrecht beurteilt wurde, eine bei weitem nicht so lange Jugendstrafe erhalten hätte; vermutlich wäre ihm sogar Bewährung bewilligt oder nur ein längerer Dauerarrest verhängt worden, wie dies die Kammer, die auch als Jugendkammer tätig ist, durchaus zu beurteilen vermag.“

 

Folgt man den Feststellungen im Beschluss dann wurde der hier Betroffene am 21.02. 2012 in Untersuchungshaft genommen, von dort aus gem. § 126a StPO am 28.06. 2012 in die Klinik nach Haina überstellt und wurde am 01.04. 2016 in die Freiheit entlassen.

Insgesamt also über 4 Jahre eingesperrt.

Hier finden Sie uns

Rechtsanwältin Hanna Henning
Gießener Str.  6 A
35410 Hungen

 

 

Kontakt

Rufen Sie einfach an unter

06402- 5289838

0177 1811407

 

 

 

oder nutzen Sie unser Kontaktformular.

Druckversion | Sitemap
© Rechtsanwältin Hanna Henning