Wiederaufnahmeverfahren

Wiederaufnahmeverfahren

§ 359 StPO
Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten

Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten ist zulässig,

 

1.

wenn eine in der Hauptverhandlung zu seinen Ungunsten als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war;

 

2.

wenn der Zeuge oder Sachverständige sich bei einem zuungunsten des Verurteilten abgelegten Zeugnis oder abgegebenen Gutachten einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht oder einer vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat;

 

3.

wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat, sofern die Verletzung nicht vom Verurteilten selbst veranlaßt ist;

 

4.

wenn ein zivilgerichtliches Urteil, auf welches das Strafurteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist;

 

5.

wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind,

 

6.

wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.

 

Theorie und Praxis!

Mit den Veränderungen der Verteidigungsmöglichkeiten der StPO in den letzten Jahrzehnten, der Einführung einer Verfahrensabsprache und – unbestritten – des redlich tätigen, dennoch aber oft auch überforderten Pflichtverteidigers, sind Fehlurteile in nahezu allen Bereichen des Strafrechts gegeben. Oft auch in der fatalen Kombination mit der Erstattung von Sachverständigengutachten und der sich daran anschließenden Einweisungsentscheidung gem. § 63 StGB.

Mit der Rechtskraft des Strafurteiles, oft nach Revisionsabweisung durch den BGH und einem weiteren Versuch vor dem Bundesverfassungsgericht eine Aufhebung zu erreichen, manchmal auch noch nach einem Beschwerdeverfahren an den EGMR, folgt der Strafvollzug oder aber die zeitlich nicht befristete Unterbringung. Die Anzahl jener die auch noch im Rahmen der Strafvollstreckung oder der Unterbringung die Tat leugnen (sogn. Tatleugner) ist nicht gering. Das Leugnen einer mit Rechtskraft ausgeurteilten Straftat im Strafvollzug hat für die Frage der Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen, eventuell einer Verlegung in den offenen Vollzug oder einer vorzeitigen Entlassung, insbesondere bei Delikten mittlerer und schwerer Kriminalität zur Folge, dass die für eine Resozialisierung als erforderlich und notwendig angesehene Tat-auf- und Verarbeitung nicht erfolgen kann und insbesondere im Rahmen einer nahezu vollständigen „Psychologisierung des Strafvollzuges“ therapeutische Maßnahmen nicht durchgeführt werden können. Im Rahmen einer Begutachtung vor vollzugsöffnenden Maßnahmen oder bei der Frage der Prüfung einer vorzeitigen Entlassung, ist das Leugnen der Tat von ganz erheblichem Gewicht. Die Auseinandersetzung mit der Tat und den für ihre Begehung wesentlichen Faktoren und deren Aufarbeitung sind ein zentrales Element der Resozialisierung. Indirekt und oftmals versteckt, wirkt sich die Tatleugnung zusätzlich auch im Rahmen verschiedener Prognoseinstrumente aus, die z.B. bei der Erstellung von Prognosegutachten im Hinblick auf eine Rückfallgefahr verwendet werden. So ist dies z.B. bei zwei der sehr häufig verwendeten Instrumente der Fall: Im „PCL-R“ ist als Item Nr. 16 bzw. im „HCR-20“ ist als Item Nr. 11 die Tatleugnung als mangelnde Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Tat respektive als Mangel der Einsicht enthalten, womit die Vergabe der ersten zwei „Negativpunkte“ in diesen Prognoseinstrumenten jeweils bereits sicher ist.

 

Für die Frage der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen, der Unterbringung im offenen Vollzug ist der Tatleugner grundsätzlich ungeeignet, insoweit er wegen schwerer oder schwerster Straftaten inhaftiert ist. Dies mag sich aus der Rechtsprechung so überdeutlich zunächst nicht ergeben, in der Praxis verhält es sich gänzlich anders. Im Zeitalter eines Übersicherungsvollzuges, der immer mehr und mehr Kriminalität als „Krankheit“ qualifiziert und deren Behandlung einer Vielzahl von therapeutischen Maßnahmen unterstellt, wird im Bereich schwerer und schwerster Kriminalität, der Tatleugner gerade nicht zu behandeln sein. Damit ist die Vollver-büssung nahezu (wenn auch nicht immer: Mangelnde Auseinandersetzung mit der Tat kann dafür ein Anhaltspunkt sein. Das Leugnen der Tat allein reicht aber als Begründung nicht aus: „Nur wenn sich aus konkret darzulegenden Einzelumständen ergibt, dass der Verurteilte im Falle von Vollzugslockerungen erneut Straftaten begehen wird, ist die Ablehnung vertretbar“ (OLG Celle, 19.04.2000 – 1 Ws 77/00). Zwar kann die „mangelnde Tataufarbeitung“ insoweit berücksichtigt werden, als sie die prognostische Beurteilung von Flucht- und Missbrauchsgefahr erschwert (OLG Hamm NStZ 2004, 227); dies entbindet die Vollzugsbehörde jedoch nicht von der Pflicht, die Prognose mit den ansonsten zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu stellen (OLG Celle vom 31.10.2008 – 1 Ws 538/08 (StrVollz). Diese Rechtsprechung hat das OLG Hamm am 29.09.2015 erneut bestätigt (1Vollz (Ws) 401/15) unvermeidlich.

 

Wenn also trotz all dieser recht offensichtlichen Schlechterstellungen und Benachteiligungen im Rahmen des Strafvollzuges, der oder die Verurteilte durchgängig bestreitet, schuldig zu sein, muss dies nicht unbedingt ein nachvollziehbarer Hinweis darauf sein, dass hier ein Fehlurteil vorliegt. Es gibt ganz unterschiedliche Faktoren welche dazu führen dass trotz erwiesener Schuld, die Verurteilten die Tat leugnen.

 

Wie man, wenn man sich mit der Prüfung der Frage befasst ob eine Fehlverurteilung vorliegen kann, vorzugehen hat, ist zunächst die einfache Beantwortung der Frage, ob man es leisten kann. Wiederaufnahmeverfahren sind arbeits- zeit- und kostenintensiv.  

 

Ausgangspunkt einer Prüfung können nur die vollständigen Akten des Ausgangsverfahrens sein. Diese sind akribisch zu prüfen, es ist zu schauen ob es bemerkenswerte oder wesentliche Veränderungen bei Zeugenaussagen gibt und vieles mehr. Und selbst wenn man  zu der Überzeugung kommt, dass das Urteil möglicherweise unzutreffend ist, falsch ist – beinhaltet dies noch nicht, dass man es auch aus der Welt schaffen kann.

 

 

 

 

 

 

 

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