OLG Frankfurt am Main

 

Gericht:

OLG Frankfurt 3. Strafsenat

Entscheidungsdatum:

21.01.2025

Aktenzeichen:

3 Ws 548/24

 

Zu der Verhältnismäßigkeit langandauernder Unterbringung in psychiatrischem Krankenhaus über den Zeitraum von zehn Jahren hinaus

 

 

 

Leitsatz

1. Die Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist dann nicht mehr gegeben, wenn von dem an einer paranoiden Schizophrenie leidenden Untergebrachten zwar noch die hohe Gefahr der Begehung oder Teilnahme von/an Verbrechen [(schwere) räuberischen Erpressung] zur Beschaffung von Geldmitteln für Drogen und Glücksspiel droht, aber nicht festgestellt werden kann, dass die allein durch seine physische Präsenz und sein aggressives Erscheinungsbild vorgenommene oder zur erwartenden Drohung tatsächlich zu schweren psychischen Schäden bei den bisherigen Tatopfern geführt hat oder solche schweren Schäden bei zukünftigen Tatopfern bewirken würde und es keine belastbaren Anhaltspunkte für eine weitere Eskalationsgefahr gibt.

2. Nach der gesetzgeberischen Wertung rechtfertigen nach dem Ablauf der 10-Jahres-Frist nur schwerwiegende, vom Untergebrachten ausgehende Gefahren noch die Fortdauer der Unterbringung, während der Ausspruch der Erledigung der Regelfall ist.

 

 

Aus den Gründen:

 

 

Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer war aufzuheben und die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt zu erklären, weil die weitere Vollstreckung der Maßregel gemäß § 67d Abs. 3 S. 1, Abs. 6 S. 3 StGB unverhältnismäßig ist.

Obwohl die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bereits mehr als 10 Jahre ohne Unterbrechungen vollzogen wird, ist das Verfahren dem Senat erstmals zur Prüfung und Entscheidung unterbreitet worden. Insoweit gelten folgende grundsätzliche Überlegungen zur Fortdauer langandauernder Unterbringungen:

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das sich daraus ergebende Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach einem gerechten und vertretbaren Ausgleich. Dieser lässt sich für die Entscheidungen über die Aussetzung bzw. Erledigung der Maßregelvollstreckung nur dadurch bewirken, dass Sicherungsbelange und Freiheitsanspruch des Untergebrachten als wechselseitiges Korrektiv gesehen werden und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf daher nur fortgesetzt werden, wenn der damit verbundene Eingriff in die Freiheitsrechte zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zum Grad der von ihm ausgehenden Gefahr nicht außer Verhältnis steht (BVerfGE 70, 297, 312). Die Beurteilung hat sich demnach darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. hierzu Senat Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 3 Ws 878/13, StraFo 2014, 82-84, Rdnr. 5). Die vom Untergebrachten ausgehende Gefahr ist hinreichend zu konkretisieren. Der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen, da deren bloße Möglichkeit die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen vermag. Außerdem sind einzustellen, die Bereitschaft des Untergebrachten am Behandlungsziel mitzuwirken und die voraussichtlichen Wirkungen der im Falle der Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht (S 67d Abs. 2 S. 2 StGB) und der damit verbindbaren weiteren Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe nach 68a, 68b StGB (vgl. hierzu OLG Karlsruhe Beschluss vom 4. Februar 2021 - 2 Ws 217/20 Rdnr. 6 ff., RuP 2021 - 183 bis 185 zitiert über juris).

Dauert die Unterbringung - wie im vorliegenden Einzelfall - mehr als 10 Jahre an, wird der Verhältnismäßigkeitsmaßstab durch die gesetzliche Regelung in § 67d Abs. 3 und Abs. 6 S. 3 StGB dahin konkretisiert, dass die Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig ist, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Dazu bedarf es konkrete auf Tatsachen gestützte Feststellungen, dass entsprechende Taten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades drohen; die bloße Möglichkeit reicht ebenso wenig wie die bloße Gefahr schwerer seelischer oder körperlicher Schädigung von Opfern Die Erledigung der Maßregel hängt daher nicht von einer positiven Prognose, sondern ihre Fortdauer hängt von einer negativen Prognose auf Grundlage tatsachenfundierter Feststellungen ab. Damit gelten höhere Anforderungen als für die Erstanordnung der Unterbringung nach § 63 StGB (vgl. hierzu OLG Hamm Beschluss vom 5. September 2017 - III - 3 Ws 198/18 Rdnr. 19 zitiert über juris; KG Berlin Beschluss vom 5. Oktober 2016 - 5 Ws 116/16 Rdnr.15, NStZ-RR 2017 8-11 zitiert über juris). Nach dem Willen des Gesetzgebers rechtfertigen nur noch schwerwiegende von dem Untergebrachten ausgehende Gefahren dann noch die Fortdauer der Unterbringung (BTDrs - 1872/44 S. 21), während der Ausspruch der Erledigung den Regelfall darstellt.

Diese strengen Maßstäbe greifen demgemäß insbesondere bei Personen ein, die sich - wie der Untergebrachte - mangels Krankheits- und Behandlungseinsicht, fehlender/unzureichender Medikamenten-Compliance oder anderer störungsbedingter/charakterlicher Defizite (z.B. mangender Absprachefähigkeit, mangelnde Transparenz, hohe Fixation auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung) keine positive Prognose erarbeiten konnten. Auf die Frage, ob eine weitere stationäre Behandlung in einem forensisch-hochstrukturierten Rahmen gegebenenfalls auch im Interesse des Patienten aus medizinisch/therapeutischer Sicht sinnvoll wäre, etwa um einer Obdachlosigkeit/Verwahrlosung des Patienten vorzubeugen, kommt es dabei nicht an. Insoweit müssen diese Patienten den Hilfsangeboten der Allgemeinpsychiatrie oder den Maßnahmen des bürgerlich-rechtlichen Betreuungsrechts oder öffentlichen Ordnungsrechts überantwortet werden. So liegt der Fall hier. Bei Anwendung der strengen Maßstäbe ist der weitere Vollzug der Maßregel über die Dauer von 10 Jahren hinaus nicht mehr verhältnismäßig.

Das Störungs- und Persönlichkeitsbild, das zu den im Jahr 2012 begangenen beiden Anlasstaten geführt hat, besteht unverändert fort.

Nach den übereinstimmenden Feststellungen der forensischen Sachverständigen im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren (D, E, F und C) sowie der behandelnden Klinikärzte leidet der Untergebrachte an einer mittlerweile chronifizierten psychischen Erkrankung in

Form einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie, wobei ein polyvalenter Substanzkonsum (Cannabis, Amphetamin, Kokain), abstinent in beschützender Umgebung, erschwerend hinzutritt. Diese Doppeldiagnosen sind mittlerweile als gesichert anzusehen. Soweit im Zeitpunkt der letzten Exploration durch den Sachverständigen C (9. Juli 2024) und im Zeitpunkt der Anhörung vor der Kammer (29. Oktober 2024) keine floride Symptomatik mehr erkennbar war, ist dies ein Behandlungserfolg, welcher sich nach Jahren intensiver und immer wieder optimierter medikamentöser Behandlung eingestellt hat.

Die Prognose ist dennoch ungünstig. Nach den derzeitigen Erkenntnissen droht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit im Fall einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug eine erneute Exazerbation der psychotischen Erkrankung mit dem Wiederaufleben der floriden Symptomatik. Der Untergebrachte hat - bei formaler Anpassung - auch während der langen Dauer der Unterbringung keine intrinsische Krankheits- und Behandlungseinsicht entwickelt. Er hält sich vielmehr für gesund, wobei er in dieser irrigen Auffassung zumindest zeitweise von Teilen seiner Familie unterstützt wurde (siehe den Inhalt der Berichte der Klinik vom 20. Februar 2015 und 25. Juni 2020: Familie fordert die Gabe von homöopathischer Medikation oder die Aussage des Vaters, sein Sohn sei nicht krank und er verstehe nicht, warum er so viele Medikamenten nehmen müsse). Aufgrund seines hohen Autonomiebedürfnisses strebt der Untergebrachte eine eigenständige oder weitgehend eigenständige Lebensführung (eigene Wohnung/betreutes Wohnen) und sogar eine berufliche Tätigkeit auf den 1. Arbeitsmarkt (Pförtner beim Sicherheitsdienst) an. Überdies ist eine Abstinenzmotivation (Alkohol/Drogen/Glücksspiel) nicht erkennbar. Noch im Jahr 2021 hat er auf die Frage nach seinen Entlassungsvorstellungen geradezu treuherzig ehrlich geantwortet, er wolle zum Casino gehen, Shisha rauchen, Cocktails trinken und eine Thai-Massage erhalten (siehe Bericht der Klinik vom 20. September 2021). Diesen Vorsätzen ist er im Rahmen der Entlassungserprobung 2024 auch weitgehend treu geblieben, indem er Geld beim Glücksspielen verspielt hat und es doch zumindest Anhaltspunkte für einen Opiat-Konsum gibt. Mit diesen und weiteren Regelverstößen ist er nicht transparent umgegangen und hat insoweit gezielt Verdeckungshandlungen (z.B. Löschen einer Spiele App, Spülen zur Verwässerung der Urinprobe) vorgenommen oder leugnende, externalisierende, bagatellisierende Erklärungen (z.B. er habe die Schublade des Mitpatienten aus Neugier durchwühlt und nicht um zu stehlen) abgegeben. Es kann daher in keinem Fall erwartet werden, dass der Verurteile sich an die Vorgaben halten wird, die zur Behandlung seiner psychischen Erkrankung und der Eindämmung der damit verbundenen Risiken für ihn und seine Umgebung erforderlich sind, namentlich die antipsychotisch wirksame Medikation einzunehmen, keine Alkohol- oder Betäubungsmittel zu konsumieren und sich vom Glückspielen fern zu halten. Störungs- oder persönlichkeitsbedingt wird er weiter auf die unmittelbare Befriedigung seiner Bedürfnisse ohne Bedenken der Konsequenzen fixiert bleiben; ein Haushalten mit seinen Ressourcen ist ihm nicht möglich. Von seinem sozialen Umfeld, insbesondere seiner Familie lässt er sich nicht eingrenzen, fördert diese doch die verwöhnte Anspruchshaltung des Untergebrachten, in dem sie diesem unkritisch gegenübertritt und sich von ihm instrumentalisieren lässt (Familie belogen, um während der Entlassungserprobung Geld für Glücksspiel zu erhalten).

Hinzu kommt, dass der Untergebrachte seine Fähigkeiten völlig überschätzt. Infolge der krankheitsbedingten Einschränkungen und fehlender Belastbarkeit wird er nicht in der Lage sein, sein Leben selbst zu organisieren und die dazu erforderliche Hilfe (Betreuung) in Anspruch zu nehmen und zu akzeptieren. Auch die von ihm angestrebte Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses auf dem 1. Arbeitsmarkt ist völlig unrealistisch. Es ist daher rasch mit einer erheblichen Überforderung und damit einhergehenden psychischen Destabilisierung des Untergebrachten zu rechnen, dem ggfls. auch die Obdachlosigkeit und persönliche Verwahrlosung droht, wenn er nicht auf Hilfsangebote zurückgreift und die Familie ihn wegen weiterer wahnhafter Symptomatik wieder aus einer Unterkunft verweist. Es droht ein Abgleiten in das Drogenmilieu, vor dessen negativen Einflüssen und Versuchungen sich der Verurteilte auch nicht abgrenzen kann, was die Anlasstaten zeigen. Beide Taten wurden von dem Mit- bzw. Haupttäter initiiert; auch die Opfer bewegten sich im Drogenmilieu, handelte es sich im ersten Fall um Jugendliche, die sich dem Untergebrachten und dem Mittäter zum Zwecke des gemeinsamen Konsums von Marihuana angeschlossen hatten und im zweiten Fall um einen Dealer. Der Senat teilt daher die prognostische Einschätzung der durch den Sachverständigen C beratenen Kammer, dass von dem Untergebrachten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten zur Beschaffung der notwendigen Geldmittel für den Konsum von Alkohol, Drogen und/oder die Teilnahme an legalen/illegalen Glücksspiel zu erwarten sind, weil seine eigenen oder die von seiner Familie zur Verfügung gestellten Geldmittel hierfür nicht ausreichend sein werden. Die Aufhäufung von erheblichen Schulden, insbesondere im kriminellen Milieu, ist zu erwarten. Letzteres wird sich auch mit den Mitteln des Betreuungsrechts (der von der Klinik angeregten Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts) nicht verhindern lassen. Insoweit wird es sich bei den zu erwartenden Straftaten um Beschaffungskriminalität geringeren Ausmaßes (Diebstahl, Betrug) wie in der Vordelinquenz, aber nach der nachvollziehbaren und überzeugenden prognostischen Einschätzung des Sachverständigen C um Delikte, vergleichbar den Anlasstaten, also gemeinschaftlich räuberische Erpressung und/oder eine Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung handeln. Von federführenden Haupttätern bzw. Initiatoren der Tat aus dem Drogenmilieu wird er sich instrumentalisieren lassen, weil ihm die Fähigkeit fehlt, sich von diesen abzugrenzen. Gefährdet sind bei solchen Delikten, die auf Offener Straße stattfinden, in erster Linie zunächst Personen, die sich im Drogenmilieu bewegen (Mitkonsumenten; Dealer etc.), aber bei wahnhaften Verkennungen auch ein nicht eingrenzbarer Kreis von Zufallsopfern.

Somit kann festgestellt werden, dass die hohe Gefahr besteht, dass er Straftaten begeht, allerdings nicht derart erhebliche Straftaten, durch die die Opfer tatsächlich seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Von der Regelung der 67d Abs. 6 S. 3 i.V.m. S 67d Abs. 3 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB werden i.d.R. Verbrechenstatbestände erfasst und Straftaten aus dem Bereich der mittleren Kriminalität, wenn sie einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören. Der Senat verkennt nicht, dass es sich bei den von dem Untergebrachten begangenen, dem Raub teilweise gleichgestellten Anlasstaten um Verbrechen mit hohen Strafandrohungen für den Haupttäter (Mindeststrafandrohung von drei Jahren bzw. fünf Jahren) handelt, die auch Einfluss auf den Rechtsfrieden haben. Der Generalstaatsanwaltschaft ist auch zuzugeben, dass solche Verbrechen generell geeignet sind, den Opfern zumindest durch seelische Traumatisierung schweren Schaden zuzufügen. Diese generelle Eignung ist aber nicht mehr ausreichend. Vielmehr bedarf es der konkreten Feststellungen für den hier vorliegenden Einzelfall des Untergebrachten, dass die von ihm ausgehende Drohung (als Mittäter oder Beteiligter) solche schweren Schädigungen bewirken würden. Denn allein die Gefahr, dass potentielle Opfer solche Schäden erleiden könnten, reicht hier angesichts der mehr als zehn Jahre andauernden Unterbringung nicht mehr aus (vgl. hierzu OLG Hamm Beschluss vom 5. September 2017 - III - 3 Ws 198/17 Rdrn. 23). Die von der Generalstaatsanwaltschaft für ihre gegenteilige Auffassung zitieften BGH-Entscheidungen (BGH Beschluss vom 25. April 2019 - 4 StR 478/18 Orientierungssatz 4, Rdnr. 21 zitiert über juris, BGH Urteil vom 14. März 2019 - 4 StR 444/18 zitiert über juris) können hier nicht herangezogen werden. Zum einen handelt es sich um Entscheidungen, die das Erkenntnisverfahren betreffen und bei denen die Frage der Anordnung einer Sicherungsverwahrung zur Disposition stand. Zum anderen handelte es sich um Täter, die mit erheblicher tätlicher Gewalt oder im Bereich organisierter Kriminalität (Banküberfälle) mit nachgewiesenen erheblichen psychischen Folgen für die Opfer auffällig geworden sind. Mit dem hier vorliegenden Fall des Untergebrachten sind diese Fälle nicht im Ansatz vergleichbar. Der Untergebrachte ist bis zu den Anlasstaten niemals mit Gewaltdelikten in Erscheinung getreten. Zwar hat es verbale Aggression in Form von Bedrohungen gegen Familienangehörige und Betreuungspersonal gegeben, die auf eine gedankliche Befassung des Untergebrachten mit Gewaltinhalten (insbesondere auf solche im Hinblick auf einen erweiterten Suizid) hindeuten, es haben sich aber niemals konkrete Anhaltspunkte für eine erhöhte Gefahr der tatsächlichen Umsetzung dieser Gedanken ergeben. Vielmehr gab es lediglich Suizidandrohungen und selbstverletzende Handlungen, die für die hier zu treffende Fortdauerentscheidung unbeachtlich sind. Lediglich einmal hat sich der Untergebrachte in florider psychotischer Verfassung körperlich widerständig gegen Vollzugsbeamte gezeigt, als eine HFEG Unterbringung vollzogen werden sollte. Dies war 2012, liegt also schon längere Zeit zurück. Ansonsten sind keinerlei tätliche Gewalthandlungen des Untergebrachten dokumentiert. Auch bei den Anlasstaten hat der Untergebrachte keine körperliche Gewalt gegen die Opfer eingesetzt, sondern hat auf diese lediglich durch seine Anwesenheit und sein aggressives Erscheinungsbild drohend eingewirkt. Er selbst war bei den Anlasstaten nicht bewaffnet; es ist auch nicht ersichtlich, dass er zu Bewaffnung neigt bzw. eine Affinität für Waffen besitzt. Keines der Opfer hat körperliche Verletzungen davongetragen. Während der gesamten Dauer der Unterbringung gab es gelegentlich Anspannungszustände mit verbaler Aggression, Drohungen oder die Einnahme eines „rauen Tons". Tätlichkeiten oder Gewalthandlungen gegen Pflege- und Behandlungspersonal oder Mitpatienten waren aber ebenfalls nicht zu verzeichnen.

Es gibt somit keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine zunehmende körperliche Aggressivität und die Intensivierung der Straftaten im Sinne einer Progredienz drohen. Die Gefahr einer Eskalation mit der Gefahr schwerer tätlicher Gewaltstraftaten haben weder die intramuralen Behandler noch die externen forensischen Sachverständigen geäußert.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Anlasstaten zu schweren psychischen Beeinträchtigungen bei den Opfern (z.B. langandauernde Ängste mit Lebens-, Verhaltens-, Berufsmodifikationen, Albträume, psychosomatische Beschwerden, Leistungsabfälle etc.) geführt hätten und diese Gefahr tatsächlich auch zukünftig besteht. Eine psychische Beeinflussung der Opfer durch die beiden Anlasstaten wird im Erkenntnisurteil gerade nicht festgestellt. Es ist daher nicht ersichtlich, dass diese etwa schwer unter den Eindrücken der Tat gelitten hätten. Psychische Verletzungsfolgen, die aus der Masse der in der täglichen Strafverfolgungspraxis zu beurteilenden Fälle jedoch nicht herausragen, genügen jetzt nicht mehr, um die Fortdauer der mittlerweile langandauernden Unterbringung zu rechtfertigen. Auch gibt es derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer sich nicht nur mit bedrohlich äußerem Erscheinungsbild begnügt, sondern sich selbst bewaffnet und damit die Drohkulisse verschärft, was die Tatopfer noch weitergehend psychisch beeinträchtigen kann

Die zwei Anlasstaten wurden zwar zeitlich kurz hintereinander begangen, Neben dem Beschaffungsdruck war dabei aber die negative Einflussnahme seitens des Mit- bzw. Haupttäters federführend, so dass auch nicht von einer Iangen, auf die Eigeninitiative des Untergebrachten zurückzuführenden Tatserie gesprochen werden kann.

Es liegt dem Senat gänzlich fern, die von dem Untergebrachten ausgehende hohe Gefahr für die zukünftige Begehung von Beschaffungsdelikten im Schwergrad der Anlassdelikte und die damit für die Zufallsopfer möglicherweise verbundenen psychischen Folgen verharmlosen zu wollen. Die Gefahr ähnlicher Straftaten rechtfertigt jedoch nach der in § 67d Abs. 6 S. 3, Abs. 3 StGB klar zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Wertung nicht mehr die weitere Unterbringung, über deren bisherige lange Dauer von über 10 Jahren hinaus. Wie bereits dargelegt sieht das Gesetz die Fortdauer der Unterbringung dann nur bei schwerwiegenden von dem Untergebrachten ausgehenden Gefahren vor.

Daher war die Maßregel für erledigt zu erklären.

Um noch eine geordnete Entlassungsvorbereitung zu ermöglichen und damit das bestehende Risiko der Begehung neuer Straftaten so weitgehend wie möglich zu verringern, hat der Senat eine Frist von ca. 6 Monaten für den Eintritt der Erledigung gewählt. Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt es zu, die auszusprechende Erledigung erst mit Wirkung für einen zukünftigen Zeitpunkt zu erklären, um auf diese Weise angemessene Entlassungsvorbereitungen zu ermöglichen (vgl. hierzu Senat Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 3 Ws 878/13 Rdnr. 10, KG Berlin Beschluss vom 5. Oktober 2016-5 116/16 Rdnr. 28, KG Berlin Beschluss vom 21. Februar 2017 - 5 Ws 44/17 Rdnr. 18, OLG Hamm Beschluss vom 5. September 2017 - 111-3 Ws 198/17 Rdnr. 26, Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Beschluss vom 4. August 2016 - 1 Ws 114/16 (59/16), alle Entscheidungen zitiert über juris).

Die Frist von ca. 6 Monaten erscheint auch deshalb angemessen, um gegebenenfalls eine Erweiterung der betreuungsrechtlichen Maßnahmen (Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuerin, etwa Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die Unterbringung, Einwilligungsvorbehalt etc.) zu ermöglichen und es der Klinik/Betreuerin zu ermöglichen, ein strukturiertes kontrollierendes Entlassungssetting (Wohnheim oder zumindest betreutes Wohnen etc.) zu finden, in dem in Zusammenarbeit mit der psychiatrischen Ambulanz insbesondere auf die Einnahme der antipsychotischen Medikation so gut wie möglich hingewirkt werden kann.

Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Maßregel trifft kraft Gesetzes Führungsaufsicht ein (§ 67d Abs. 6 S. 4 StGB). Der Senat hat diese nur hinsichtlich ihrer Dauer (§ 68c Abs. 1 StGB) und der obligatorischen Bestellung eines Bewährungshelfers, der noch namentlich benannt werden muss, ausgestaltet. Eine Abkürzung der Höchstfrist der Führungsaufsicht kam angesichts der schlechten Prognose nicht in Betracht.

Da die weitere Ausgestaltung der Führungsaufsicht derzeit noch nicht möglich ist, weil dies stark von dem zukünftigen Empfangsraum abhängt, hat der Senat das Verfahren insoweit an die Strafvollstreckungskammer zurückgegeben. Dieser obliegt auch die gesetzlich vorgeschriebene Belehrung gemäß S 268a Abs. 3 StPO.)

 

 

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