OLG Celle Beschluss vom 01.04. 2025
Aktenzeichen: 1 Ws 23/25 (MVollz)
Unterbringung Doppelzimmer Maßregelvollzug Feststellung der Rechtswidrigkeit
Aus den Gründen:
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und wegen Spruchreife der Sache zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme (§ 119 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 113 Abs. 4 StVollzG). a) Zwar geht die Kammer zutreffend davon aus, dass sich aus den Vorschriften des Nds. MRVG kein genereller Anspruch eines Untergebrachten auf die Gewährung eines Einzelbettzimmers ergibt. Auch aus den Grundrechten lässt sich eine solche Rechtsposition nicht ableiten (vgl. BVerfG, RuP 2008, 67; OLG Hamm, Beschl. v. 14. Mai 2019 – III-1 Vollz (Ws) 155/19, juris; OLG Naumburg, Beschl. v. 9. August 2004 – 1 Ws 652/03, juris). Insoweit steht der Vollzugsanstalt bei der Entscheidung, welcher Untergebrachte eines von nur begrenzt zur Verfügung stehenden Einzelbettzimmern erhält, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbares Ermessen zu (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). b) Die Kammer hat bei der Überprüfung des durch die Antragsgegnerin ausgeübten Ermessens aber übersehen, dass der Aspekt der Langjährigkeit der Unterbringung des Antragstellers bei der Entscheidung, die diesem gegenüber eröffnet worden ist, ohne Berücksichtigung geblieben ist, obwohl es sich hierbei neben einzelfallbezogenen Gesichtspunkten und dem Gleichheitsgrundsatz um einen in die Abwägung einzubringenden Umstand handelt (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Dass die Antragsgegnerin in ihrer Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren geltend macht, die Langjährigkeit der Unterbringung des Antragstellers sei berücksichtigt worden, habe aber in der Abwägung keinen Ausschlag zu seinen Gunsten ergeben, durfte von der Kammer nicht herangezogen werden. Insoweit beruft sich die Antragsgegnerin nämlich auf einen Umstand, von dem der Antragsteller nicht annehmen konnte, dass er bei der Entscheidung von der Antragsgegnerin einbezogen worden - 4 - ist. Ein sogenanntes „Nachschieben von Gründen“, also das Geltendmachen von Umständen, die zwar im Zeitpunkt der Entscheidung bereits vorgelegen, aber in der Begründung keine Berücksichtigung gefunden haben, ist im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG ausgeschlossen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 28.6.2021 – 203 StObWs 261/21; KG, StraFo 2015, 261; OLG Celle, StV 2020, 558; OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 63; OLG Koblenz, Beschl. v. 7.7.2020 – 4 Ws 342/20 Vollz). c) Darüber hinaus konnte der Beschluss auch deshalb keinen Bestand haben, weil der Senat durch die Ausführungen der Kammer nicht in die Lage versetzt wird, die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung, den Antragsteller und nicht eine andere untergebrachte Person aus dem Einzelbettzimmer herauszunehmen, im Hinblick auf Ermessensfehler zu überprüfen. Dass andere Patienten aus therapeutischen bzw. medizinischen Gründen, weil sich deren Verlegung in ein Doppelzimmer destabilisieren und therapieschädigend ausgewirkt hätte, nicht aus ihren Einzelzimmern verlegt hätten werden können, lässt sich ohne Darstellung der Belegsituation insgesamt, sowie – soweit es datenschutzrechtliche Aspekte zulassen - einer Beschreibung der behaupteten schädlichen Auswirkungen im Einzelfall nicht nachvollziehen. d) Schließlich hat die Kammer wie auch die Antragsgegnerin übersehen, dass der Antrag des Antragstellers auf Verlegung in ein Einzelbettzimmer bei sachgerechter Auslegung keinen Verpflichtungsantrag im Sinne von § 109 Abs. 1 S. 2 StVollzG darstellt, sodass es auf das Vorliegen einer therapeutischen Indikation des Antragstellers für ein Einzelbettzimmer oder eine ermessensfehlerfreie Ablehnung der Verlegung gar nicht ankam. Denn indem dem Antragsteller die bereits einmal eingeräumte Vergünstigung der Unterbringung in einem Einzelbettzimmer mit der Entscheidung vom 9. November 2022 entzogen worden ist, stellt sich die Maßnahme als belastender Verwaltungsakt in Form eines Widerrufs dar, der bei erfolgreicher Anfechtung nicht nur dessen Aufhebung, sondern auch einen Folgenbeseitigungsanspruch des Antragstellers gemäß § 115 Abs. 2 Satz 2 StVollzG auf Rückverlegung zur Folge hätte. Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit eines solchen Widerrufs ist mangels einer Spezialregelung im Nds. MRVG nach § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 49 VwVfG, ob eine der dort genannten Voraussetzungen tatbestandlich vorliegt, etwa, dass die Zuweisung in ein Einzelbettzimmer unter einem Vorbehalt erfolgte (§ 49 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG) oder schwere Nachteile für das Gemeinwohl sonst zu befürchten gewesen wären (§ 49 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG). Zudem wäre im Rahmen des eröffneten Ermessens auch der Vertrauensgrundsatz als Ausdruck des allgemein geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, und zwar unabhängig von der in § 49 Abs. 6 VwVfG vorgesehenen Entschädigungsmöglichkeit, bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen gewesen. Da weder die Kammer noch die Antragsgegnerin sich erkennbar mit den - 5 - Voraussetzungen eines Widerrufs nach § 49 VwVfG befasst haben, und auch im Nachgang lediglich die Langjährigkeit der Unterbringung zur Begründung herangezogen worden ist, kann ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vertrauens, auf das sich der Antragsteller berufen kann, getroffen worden ist. e) Einer Zurückverweisung der Sache an die Kammer bedurfte es wegen eingetretener Spruchreife nicht. Aufgrund der dargestellten Mängel bereits im angefochtenen und zudem erledigten Bescheid war die Rechtswidrigkeit der Maßnahme durch den Senat selbst festzustellen. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 467 StPO entspr. IV. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 63 Abs. 3 Satz 2, 65 GKG. Auch ohne das erledigende Ereignis hielt der Senat unter Berücksichtigung der Bedeutung der Sache für den Antragsteller die Höhe des nunmehr festgesetzten Streitwertes für beide Instanzen für sachgerecht.